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Die WahrheitSchrothkur im Kopf

Kolumne
von Susanne Fischer

Das systematische Wiederentdecken der Fastenzeit ist nicht schön und grenzt an Nötigung. Denn es weckt Erinnerungen an Schrothkuren und mehr.

F asten war in vergangenen Jahrhunderten was für Katholiken. Man musste schon schwer weihrauchbeduselt vor sich hin glauben, um den Herrn Jesus durch Fleischverzicht am Freitag retten zu wollen, und Protestanten glauben eher praktisch. Allerdings sind Protestanten auch gründliche Selbstquäler, weswegen das systematische Wiederentdecken der Fastenzeit hervorragend zu ihnen passt.

Seit über dreißig Jahren gibt es „Sieben-Wochen-ohne“, das die Evangelischen zwischen Aschermittwoch und Ostern zu besseren Menschen machen soll. Aber schon vor vierzig Jahren wurden wir von einem Pastor genötigt, beim Februar-Gottesdienst unsere Namen und Adressen zu hinterlassen, weil es dann noch „etwas Schönes“ für uns gebe.

Wir waren jung und brauchten das Schöne, und der Datenschutz war noch nicht erfunden. Einiges andere auch nicht – manchmal stelle ich mir vor, mein pubertierendes Ich würde aus den Siebzigern zu uns herübergebeamt und jemand würde zu dieser Latzhosenträgerin vom Typ Bescheidwisserin sagen: „Ich kann dich leider nicht fotografieren, weil ich mein Telefon zu Hause vergessen habe.“

Ich wusste also damals offensichtlich nicht gut genug Bescheid, denn ich ließ meine Adresse beim freundlichen Pastor. Und wurde in der Folge mit Briefen zum „aktiven Gestalten“ der Fastenzeit eingeladen, zu Treffen, Gottesdiensten und religiös abzufeierndem Verzicht.

Ich glaube, der Gottesmann und seine Helfer waren stolz auf diesen genialen Coup, aber ich bin trotzdem nicht mehr hingegangen. Schließlich war ich gerade einer gigantischen Verzichtsveranstaltung namens Kindheit entwachsen. Endlich durfte ich mal ein Bier! Eine Zigarette! Und spät nach Hause! Da konnte man mir doch nicht so kommen!

Seitdem bin ich für alle Arten von Schrothkuren verloren. Die hielt ich damals übrigens für eine Erfindung der Schauspielerin Hannelore Schroth, obwohl zu jener Zeit noch nicht jede Prominente eine selbst kreierte Diät im Angebot hatte. Ich konnte es aber nicht besser wissen, denn Wikipedia funktionierte damals nur im Raumschiff Enterprise. So bestand meine Jugend hauptsächlich aus Sonnenschein und Missverständnissen. Es war eine hübsche Zeit. Fasten war nur etwas für Sonderlinge und Heilande, der Rest nahm all die Dinge, die geboten wurde: Pizza! Fondue! Chinapfanne! Ging es noch exotischer?

Wahrscheinlich gab es bei Hannelores Kur dagegen ausschließlich Schrotbrot zu essen und nur lauwarmes Wasser zu trinken, und außerdem musste man schweigen. Obwohl ich gern wie Hannelore Schroth im Film „Unter den Brücken“ gewesen wäre, war mir das suspekt.

Der einzig konsequente Verzicht in meinem Leben betrifft seither die Teilnahme an Kirchenveranstaltungen. „Fasten im Kopf“ (ja, das ist ein Originalzitat der evangelischen Website) werden sie auch in diesem Jahr wieder ohne mich. Fasten im Topf, Fasten ohne Kopf, Fasten mit Kropf, Krapfen mit Frost, mir egal. Noch einmal kriegt ihr mich nicht.

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1 Kommentar

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  • Genau genommen brauchen "sie" Susanne Fischer gar nicht "kriegen". Sie haben sie ja immer noch.

     

    Emanzipation ist nicht, wenn man nein sagen kann. Wenn man nein sagen kann, ist das eher Vokabelwissen. Emanzipation ist, wenn man sich seine Neins nicht mehr diktieren lassen braucht von anderen bzw. (s)einer traurigen Geschichte. Emanzipiert ist nur, wer seine Neins sachlich begründen kann vor sich und nicht mit dem Gefühl begründen muss vor anderen.

     

    Nun ja. Fasten im Kopf ist offenbar ganz schlecht für das Gehirn. Wer kaum je denkt, der hat halt darin keine Übung. Es ist wie mit dem Fasten selber: Wer's nicht geübt hat, kann nachher nicht frei entscheiden – muss ich jetzt prassen oder geht’s vielleicht auch ohne? Der ist der Gier hoffnungslos ausgeliefert.