: Sein Himmel leuchtete rot
Kunst Das Kölner Museum Ludwig zeigt mit „Kosmischer Kommunismus“ die fällige Retrospektive des im KZ Sobibór ermordeten Künstlers Otto Freundlich (1878–1943)
Von Regine Müller
Warum Biopic-Zeitgeschichte-Verwurster noch nicht das Schicksal des Künstlers Otto Freundlich aufgegriffen haben, ist verwunderlich. Gleich in mehrfacher Hinsicht ist es exemplarisch: Als persönliches Schicksal eines jüdischen Kommunisten, der auf der Flucht im Vichy-Frankreich denunziert und deportiert wurde. Als Schicksal eines Künstlers, den man in der Ausstellung im Kölner Museum Ludwig als bedeutende und zu Unrecht vergessene Schlüsselfigur der Moderne begreift. Als Paradebeispiel eines intellektuellen Allrounders, der mit Interesse Fortschritte der Wissenschaften verfolgte, selbst theoretische Abhandlungen und programmatische Texte verfasste und in Paris mit zeitgenössischen Kunstgiganten auf Augenhöhe arbeitete und diskutierte.
Freundlichs Werk wurde in Deutschland systematisch zerstört. Nach 1945 blieb es vergessen. Zugleich erlangte es traurige Berühmtheit, denn sein „Großer Kopf“ prangte unter dem von den Nazis verfälschten Titel „Der neue Mensch“ auf dem Katalogcover der Schmähausstellung „Entartete Kunst“. Die reißerisch fotografierte Skulptur wurde zum Markenzeichen der Wanderausstellung, weil sich in ihr verdichtete, was die Nazis ablehnten. Ein Lieblings-Feindbild also, und bis heute womöglich das einzige Werk Otto Freundlichs, das im kollektiven Gedächtnis gespeichert ist. „Hier findet sich u. a. auch ‚Der neue Mensch‘, wie ihn sich Jud Freundlich erträumt hat“, lautete der höhnische Kommentar im Original-Ausstellungsführer. Die eindrückliche Skulptur muss noch dazu beim Transport der Exponate beschädigt worden sein.
Das fiel aber erst der jungen Assistenzkuratorin bei der Vorbereitung der Kölner Ausstellung auf, denn sie bemerkte, dass auf einem Foto der letzten Station der Schau in Beuthen – dem heutigen polnischen Bytom – 1941 ein anderer Kopf zu sehen ist, mutwillig überzeichnet, plump vergröbert und afrikanischer anmutend als Freundlichs Original, das sich an den monolithischen Riesenstatuen der Osterinseln orientierte. Bis heute bleibt Freundlichs Originalkopf verschollen, wie ein Großteil seines Werks, das im Museum Ludwig durch historische Fotos dokumentiert ist. Dennoch konnte Kuratorin Julia Friedrich insgesamt 80 Exponate zusammentragen, teils aus eigenen Beständen, vieles aus Frankreich, etwa aus dem Centre Pompidou, und sogar aus dem New Yorker MoMA.
Die kompakte Schau ist chronologisch geordnet. Am Anfang stehen die scheinbar nur der Schönheit verpflichteten Farbfeld-Arbeiten des jungen Freundlich, der bei Restaurierungsarbeiten im Dom von Chartres assistierte und sich von dem intensiven Blau der berühmten Glasfenster inspirieren ließ. Leuchtkraft und Lichterleben durch die Kirchenfenster hat er fortan immer wieder einfangen wollen, nicht nur in Gemälden, Gouachen und Aquarellen, sondern auch in Wandteppichen, Mosaiken und Glasmalereien.
Einem glücklichen Zufall – und wiederum typisch für Freundlichs wechselvolle Biografie – verdankt sich das Überleben des über drei Meter breiten Mosaiks „Die Geburt des Menschen“ (1919): Das Werk war einst vom Kölner Tabakwarenhändler Josef Feinhals in Auftrag gegeben worden. Nach Fertigstellung gefiel es dem Auftraggeber nicht mehr, das sperrige Mosaik wurde in einem Schuppen gelagert und überlebte den Zweiten Weltkrieg, während Feinhals’ Villa zerbombt wurde. 1954 schenkte Feinhals’ Witwe das Mosaik der Stadt Köln, die es im neuen Opernhaus im ersten Stock anbrachte. Zuletzt dümpelte es dort am Übergang zum Parkhaus vor sich hin. In der Schau hängt es nun aber frisch restauriert in zentraler Position des Frühwerks, direkt neben den maskenhaften Köpfen, die das individuelle Porträt zugunsten einer archaisierenden Vereinfachung überwinden.
Radikale Abstraktion
Zu Hause fühlte sich der überzeugte Kommunist Freundlich in der radikalen Abstraktion, die für ihn weit mehr als nur das freie Spiel der Formen und Farben war, sondern Ausdruck einer gewaltlosen Utopie, die den befreiten Menschen mit den Energien des Kosmos und der Welt kurzschließt. Freundlichs Visionen waren keine esoterischen Träumereien, sondern die Früchte einer intensiven Beschäftigung mit den Naturwissenschaften und der Physik, deren Erkenntnisse er politisch las: „Mein Himmel ist rot“ betitelte er ein programmatisches Gemälde. Das Licht der religiösen Verheißung aus Chartres wird bei Otto Freundlich zum Leuchten einer sozialen Utopie.
Wer mag, kann von der fulminanten Freundlich-Ausstellung sogar Parallelen zur zweiten gerade laufenden Schau im Museum Ludwig ziehen: Nebenan wird Gerhard Richter anlässlich seines 85. Geburtstags mit der Ausstellung „Neue Bilder“ geehrt. Der Multistilist, dessen Schaffen zwischen Figuration und Abstraktion oszilliert, tendiert seit den späten Siebzigern überwiegend zur Abstraktion. Auch seine 26 neuen Arbeiten von 2016 sind abstrakte Farbkompositionen, wilde Rakelbilder mit reliefartig dickem Farbauftrag, deren vibrierende Leuchtkraft und Energie frappieren.
Als Richter 1961 von Dresden nach Düsseldorf floh und an der Kunstakademie studierte, war er einer der ersten, der das Tabu der Figuration brach und gegenständlich in der Manier der Pop-Art malte. „Kapitalistischen Realismus“ nannten Richter und seine Malerfreunde ihre stilistische Provokation. Offenbar sahen auch sie einen Zusammenhang zwischen Gegenständlichkeit und konsumorientiertem Besitzdenken.
Bis 14. Mai, Museum Ludwig, Köln
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