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Werder paradox

Fußball Erst spielen sie gut und verlieren – jetzt spielen sie schlecht und gewinnen. Auch nach dem 2:0 gegen Darmstadt gibt Werder Bremen sportliche Rätsel auf. Einzig Max Kruse überzeugte – und ein Nachwuchs-Stadionsprecher mit Behinderung

Für etwa fünfzig Zuschauer war dieses Spiel schon vor dem Anpfiff ein ganz besonderes. Denn sie waren nicht nur passive Gäste, sondern halfen bei der Einlasskontrolle, der Rasenpflege oder Stadionansage. Unter dem Motto „Gemeinsam für Inklusion“ hatte Werder zusammen mit der Aktion Mensch Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in die Abläufe dieses Bundesliga-Spiels einbezogen.

So verbrachte der 17-jährige Tim König die Partie neben Stadionsprecher Christian Stoll und hatte seinen großen Auftritt, als er bei der Verkündung der Bremer Mannschaftsaufstellung die Fans ansprechen durfte. Ganz schön aufgeregt sei er, hatte König vorher verraten. Wie wahrscheinlich auch die Kinder, die an den Händen der Spieler ins Stadion einlaufen durften.

Nach der üblichen Begrüßungszeremonie war es Werder-Spieler Max Kruse, der ihnen zeigte, auf welchem Weg es wieder rausging. Eine Szene mit Symbolgehalt – denn in den folgenden zwei Stunden war Kruse gefordert, auch seinen Mitspielern Orientierung zu geben. In den ersten 45 Minuten schienen sie sich auf völlig ungewohntem Terrain zu bewegen. Die Zuschauer, die ihr Team nach zwei Siegen in Folge eigentlich mit breiter Brust erwartet hatten, sahen von ihm hauptsächlich hilflose Suchbewegungen und unkontrollierte Abspiele. Dabei hieß der Gegner nicht München oder Dortmund, sondern Darmstadt.

Die „Lilien“ reisten zwar mit dem Ex-Bremer Torsten Frings an, der beim Hinspiel noch als Co-Trainer auf der Werder-Bank gesessen hatte und als guter Motivator gilt, hatten bislang auf fremden Plätzen aber noch keinen einzigen Punkt gewonnen. Und nun hielten sie nicht nur kämpferisch dagegen, sondern dominierten das Spiel nach Belieben, erzielten nach 25 Minuten 6:0 Ecken und zur Halbzeit 70 Prozent Ballbesitz. Nur ein Tor gelang ihnen nicht – weil Werder-Keeper Felix Wiedwald erneut einen guten Tag erwischte und wie schon in Wolfsburg der Pfosten hilfreich einsprang.

Trainer Alexander Nouri beharrte später zwar darauf, einen klaren Matchplan gehabt zu haben – und machte die zu geringe Laufarbeit für die peinliche Vorstellung verantwortlich. Es sah aber eher so aus, als würden die Spieler gar nicht genau wissen, wohin sie laufen sollten. „Die einen sind draufgegangen – die anderen sind hinten geblieben“, erklärte Maximilian Eggestein die riesigen Löcher im Bremer Mittelfeld.

In der zweiten Hälfte stand die Mannschaft angetrieben von Max Kruse kompakter zusammen und baute zwischenzeitlich sogar Druck auf. Das erlösende Tor durch Kruse fiel aber eher glücklich, als Darmstadts Abwehrspieler Sulu Claudio Pizarro ungeschickt foulte und Kruse den Elfmeter verwandelte. In der Nachspielzeit schloss Werders Bester noch einen Konter zum 2:0 ab.

So wie die drei Niederlagen zu Jahresbeginn paradoxerweise Hoffnung machten, weil die Leistung stimmte, müssen die letzten beiden Siege Anlass zur Sorge geben. Als Team wirkt Werder ausgelaugt und vor allem taktisch nicht gefestigt. Dennoch haben sie mit viel Glück und starken Einzelaktionen den Anschluss an das untere Tabellenmittelfeld hergestellt und können am Freitag in Leverkusen sogar Schalke 04 überholen. Ralf Lorenzen

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