piwik no script img

Das Netz der Nazis

RECHTSEXTREME Seit Jahren drangsaliert er die Stadt: der „Nationale Widerstand Berlin“. Wer steckt dahinter? Eine Spurensuche

Demonstrieren gegen den „Nationalen Widerstand“

■ Am Samstag treffen sich Antifa-Gruppen zur jährlichen Demo im Gedenken an den 1992 erstochenen Punk Silvio Meier. Der Aufzug richtet sich auch gegen aktuelle rechtsextreme Strukturen wie den „NW Berlin“ und wird an dessen Treff in der Lückstraße vorbeiziehen. Die Neonazis haben dort eine Gegenkundgebung angemeldet.

■ Die Silvio-Meier-Demo beginnt um 15 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße in Friedrichshain. Mobilisiert wurde bundesweit, es werden rund 5.000 Demonstranten erwartet. Die wenden sich auch gegen die schleppende NSU-Aufklärung und Aktenschredderei.

■ Schon um 13 Uhr wollen NPD und „NW“ am U-Bahnhof Rudow gegen Asylbewerber demonstrieren. Parteien, Verbände und Antifa rufen zu Gegenprotest auf. Sie treffen sich dort um 12 Uhr. (ko)

VON KONRAD LITSCHKO

Am Brandenburger Tor sind sie wieder dabei. Schwarze Windbreaker, Jeans, die Kapuzen und Mützen tief ins Gesicht gezogen. Acht Jungmänner mit grimmigen Mienen. Einer umklammert einen eingerollten Regenschirm. Es sieht nicht nach Regen aus. Aber mit dem Schirm ließe sich auch ausholen.

Die acht Männer spielen an diesem Samstag Bewacher. Ein Dutzend NPDler hat sich auf dem Platz des 18. März postiert, um gegen Asylbewerber zu hetzen. Von „Sozialschmarotzern“ spricht der junge Landeschef Sebastian Schmidtke. Den Flüchtlingen auf der anderen Seite des Tors wünscht er lächelnd „munteres Hungern“. Dann geht er rüber zu den Jungs mit den schwarzen Jacken, plaudert, scherzt.

Die Schwarzgekleideten dürften zum „Nationalen Widerstand Berlin“ gehören, kurz „NW“. Seit ihrem Auftauchen 2005 hat sich die Gruppe zur führenden rechtsextremen Organisation der Stadt entwickelt. Keine terrorisiert die BerlinerInnen mehr.

Erst vor einigen Wochen tauchte das Kürzel wieder neben Hakenkreuzschmierereien auf: an Parteizentralen von SPD und Linken, in Spandau und Tegel, am Haus der linken Jugendorganisation „Falken“ in Britz und auch hinter der Stadtgrenze, am Flüchtlingsheim in Waßmannsdorf. Dort hinterließen die Täter den Schriftzug „Rostock ist überall“ und warfen Scheiben ein.

Da war die Debatte wieder da, von der Opposition bis hinein in die SPD: Kann man diesen „NW Berlin“ nicht verbieten? Eine Gruppe, deren Sympathisanten sich so sicher fühlen, dass sie ihre Angriffe offensiv mit ihrem Label „signieren“?

Das Problem: Die Gruppe agiert im Verborgenen. Es gibt keinen Sprecher, kein Gesicht. NPD-Chef Schmidtke behauptet, es gebe gar keine „NW“-Gruppe: „Ich kenne nur eine Homepage mit diesem Namen.“

„Fester Gruppenkern“

Auch Berlins Verfassungsschutz spricht von einer „fiktiven Bezeichnung“, deren sich die Neonaziszene bediene. Das sieht Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) anders: Es gebe sehr wohl einen festen Gruppenkern von 10 bis 15 Neonazis. Und der sei „längst verbotsreif“.

Wer sich auf die Suche nach diesem Kern begibt, landet in der Lichtenberger Lückstraße. Schmucklose Wohnhäuser, schmale Bürgersteige, ein kleiner Park. Mittendrin, in einem früheren Gardinengeschäft, mietete sich im März 2011 ein Verein mit freundlichem Namen ein: „Sozial engagiert in Berlin e. V.“ In der achtseitigen Satzung heißt es, man wolle junge Erwachsene „fördern“, durch Veranstaltungen „aller Art“.

Ein junges Pärchen stellte sich dem Vermieter vor, erzählte von einer „selbst verwalteten Begegnungsstätte“. Monate später, als Männer rollenweise NPD-Plakate ins Haus schleppten, dämmerte dem Eigentümer, an wen er da vermietete. Er kündigte. Das Landgericht hielt das Mitte Oktober für nicht zulässig, jetzt läuft die Berufung.

Die Neonazis treffen sich derweil weiter. Nachbarn berichten davon, dass schon mal „Sieg Heil“-Rufe aus den Räumen dringen. Einige rufen dann die Polizei, die meisten haben nur Angst. Normalerweise, sagen sie, sei es ein gutes Dutzend Neonazis, die sich in dem Laden treffen, oft freitags. Einmal wuchs die Gruppe auf rund 50 an – es war der 20. April, „Führers Geburtstag“.

Vernagelte Fenster

Auch die Antifa hat den Laden entdeckt. Am heutigen Samstag will sie mit ihrer Silvio-Meier-Demonstration dort vorbeiziehen (s. Grafik). Schon vor Monaten tünchte sie die Fassade des Treffs mit schwarzer Farbe. Die Rechten vernagelten daraufhin die Fenster mit Metallplatten.

Was dahinter geschieht, ist auf der Internetseite des „NW Berlin“ zu lesen: Schulungen über „Gefallene der Bewegung“ oder „politische Gefangene“. Zu Vorträgen, die auch in der NPD-Zentrale in Köpenick oder der Neonazi-Kneipe „Zum Henker“ in Schöneweide stattfinden, wurde schon mal ein SS-Veteran geladen. Auch die Texte des „NW“ scheuen keine NS-Nähe: Homosexuelle werden als „krank“ und „asozial“ verunglimpft, Zuwanderer als „Krebsgeschwür“. Vom „Rassenkampf“ ist die Rede und vom „Würgegriff der Juden“.

Vor anderthalb Jahren, im Mai 2011, trat die Neonazigruppe auch an die Öffentlichkeit: Sie mobilisierte 100 Unterstützer zu einer „Ausländer raus“-Demonstration am Mehringdamm, mitten in Kreuzberg. Auch hier: schwarze Kapuzen und Basecaps, Sonnenbrillen – eine bewusste Anlehnung an den Schwarzen Block linker Autonomer. Als die Neonazis mit Sitzblockaden umzingelt wurden, rannte die Demospitze auf die Gegendemonstranten zu, schlug und trat auf vier am Boden Sitzende ein.

Gewalt, die nicht unerwartet kam. Bereits vor einem Jahr berichtete der „NW Berlin“ von einem Treffen „50 nationaler Sozialisten“ in einem Waldgebiet am Stadtrand, um sich „für den Ernstfall körperlich zu ertüchtigen“. Im Internet führt die Gruppe eine Feindesliste: Mehr als hundert Politiker, Journalisten und Antifa-Aktivisten sind dort aufgeführt, teils mit Foto und Adresse. Als diesen im Frühjahr 2011 auf der Seite ein „Strick um den Hals“ versprochen wurde, kam die Seite auf den Index und verschwand aus den meisten deutschsprachigen Suchmaschinen. Weil der Server in den USA steht, ist sie aber weiter abrufbar.

Es bleibt nicht bei Drohungen. Im Internet brüstet sich die Gruppe damit, einem „Kinderschänder“ in Lichtenberg die Scheiben eingeworfen zu haben. Im selben Bezirk wurden einer türkischen Bäckerei Plakate an die Schaufenster geleimt: „Deutsche kauft bei Deutschen“. Neonazigegnern wurden Steine in die Fenster geworfen. Als im Juni 2011 mehrere NPD-Politiker von Unbekannten verprügelt werden, hieß es kurz darauf in einem internen „NW“-Verteiler: „Brecht den roten Terror! Linke Lokalitäten sind auf der Berliner Widerstandsseite zu finden. Bewegt euren Arsch.“ In der Nacht darauf wurden Brandsätze vor fünf linke Hausprojekte gelegt.

Die Täter hat die Polizei bis heute nicht ermittelt. Gegen zwölf der Schläger vom Mehringdamm aber wurde gerade Anklage erhoben. Fünf davon sind Berliner, alle aus dem „NW“-Umfeld.

Hakenkreuz überm Sofa

Einer davon: Sebastian Z. Der Mechatroniker wohnt mit seiner Freundin, Stefanie P., in Lichtenberg, gleich um die Ecke der Lückstraße: Es ist das Pärchen, das den Laden als Treffpunkt anmietete. Zwei unscheinbare Mittzwanziger, seit Jahren fester Teil in der rechten Szene. Sie hängen nachts Plakate auf, fotografieren bei Aufmärschen Gegendemonstranten. Nach Informationen der taz hängt eine Hakenkreuzfahne über ihrer Wohnzimmercouch.

Neben Sebastian Z. und Stefanie P. stehen weitere sechs Namen auf der Mitgliederliste des Lückstraßen-Tarnvereins „Sozial engagiert in Berlin“. Seit Jahren sind die acht auf rechten Demos zu sehen – in schwarzen Kapuzenjacken, hinter Transparenten des „NW Berlin“.

An der Vereinsspitze steht ein junger NPD-Mann: Sebastian Thom. Auch er ein Mittzwanziger, gelernter Gärtner, kurze Haare, dezente Brille. Offiziell will er ebenfalls nichts mit dem „NW“ zu tun haben. Aber noch im März trug er auf einer Demonstration ein schwarzes „NW“-Banner. Kurz zuvor hatte die Polizei seine Wohnung durchsucht, weil er rechte Parolen gesprüht und Fotos davon auf die „NW“-Homepage gestellt haben soll.

Erst als Männer NPD-Plakate ins Haus schleppten, dämmerte dem Eigentümer, an wen er da vermietete

Auch NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke traf die Razzia. Von der Polizei wird er schon länger verdächtigt, die Internetseite des „NW“ zu betreiben. Die enge Verknüpfung der Gruppe mit der NPD ist kein Zufall. In der Szene geben die Jungnazis längst den Ton an – und seit Schmidtke im Februar den NPD-Landesvorsitz eroberte, auch in der Partei.

Schon vor Jahren organisierte Schmidtke Demonstrationen für ein „nationales Jugendzentrum“. Jahrelang stand er als Verantwortlicher auf Flugblättern des „NW Berlin“. Rief man früher die Kontaktnummer auf der Website an, meldete sich der 27-Jährige. Für diesen Samstag hat Schmidtke einen NPD-Aufmarsch in Rudow angemeldet. Der Aufruf steht auch auf der „NW“-Seite.

Dass Schmidtke bestreitet, etwas mit dem „NW Berlin“ zu tun zu haben, ist die übliche Strategie. Auch die einst in Berlin führende „Kameradschaft Tor“ behauptete stets, nur eine „Diskutier- und Selbsthilfevereinigung“ zu sein. Es half ihr nichts: 2005 wurde sie verboten. Es war das Jahr, in dem der „NW Berlin“ erstmals auftauchte. Wenig überraschend, dass sich die Gruppen in ihrer Ästhetik ähneln: Etliche „Tor“-Mitglieder sollen ihren Weg zum „NW“ gefunden haben.

Bei der Berliner Polizei ermittelt inzwischen ein eigenes, neunköpfiges Kommissariat fast nur noch zum „NW Berlin“. Wegen der Homepage, wegen der Anschläge. Er sehe ja den öffentlichen Druck, sagt Staatsschutz-Chef Oliver Stepien. „Aber wir müssen rechtssicher ermitteln, wenn am Ende einer verurteilt werden soll.“ Und es sei schwer nachzuweisen, ob sich eine Runde nur so treffe oder Kriminelles plane. „Die Neonazis suchen sich ja bewusst eine lose Struktur. Sonst müssten wir nicht lange über ein Verbot reden.“

Massenweise Datenpakete

Von „operativen Maßnahmen“, mit denen dem „NW“ nachgespürt werde, spricht die Polizei. Im Frühjahr stellte Berlin ein Rechtshilfeersuchen an die USA, um den Server der „NW“-Seite auszulesen. Die Amerikaner lieferten: Datenpakete massenweise. „Ein Riesenaufwand“, stöhnt Stepien. Dazu komme, dass immer mehr beschlagnahmte Rechner verschlüsselt seien. Dennoch, so der Staatsschutz-Chef, die Ermittlungen gegen den „NW Berlin“ liefen „mit Priorisierung“. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) verspricht, nach den Anschlägen und Drohungen „alles zu tun, um die Verantwortlichen zu ermitteln“. Von einem Verbot spricht er nicht.

Aber es gibt sie doch, die Köpfe hinter dem „NW Berlin“. In Nordrhein-Westfalen gelang es im August, eine nicht nur namensähnliche Struktur zu verbieten: den „NW Dortmund“. Auch diese Neonazis organisierten sich lose, teils konspirativ – und sie unterhielten regen Kontakt zum Berliner „NW“. „Verbreitung nationalsozialistischer Grundideen“, lastet ihnen die Verbotsverfügung an, ein „Klima der Gewaltbereitschaft“, offene Gewalt, Vorträge zu „arischer Rassekunde“. 62 Neonazis werden identifiziert, sechs Anführer und ein Treffpunkt. Einen eingetragenen Verein gibt es nicht. Dennoch sah das Innenministerium eine „in sich geschlossene Vereinigung“ mit „einheitlichem Auftreten“ und „organisierter Willensbildung“. Das genügte zum Verbot.

Die Ideologie, die Gewalt, die „geschlossene“ Gemeinschaft – all das gilt auch für den „NW Berlin“. Hier gibt es sogar einen Verein – laut Satzung mit einem Monatsbeitrag von 2 Euro. Nicht zufällig flogen in Lichtenberg Farbbeutel auf ein SPD-Büro, als in NRW die Verbotsverfügung zugestellt war. „Rache für NW Do“, hinterließen die Täter an der Wand.

Dennoch scheinen die Zeichen verstanden worden zu sein. In der Lückstraße, so berichten Nachbarn, seien die Neonazis zuletzt nur noch selten gewesen. Vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme. Es gibt Hinweise, dass sie sich nun öfter in Südneukölln versammeln. An einem Ort, den die Antifa noch nicht kennt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen