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Frisches Obst auf dem Altar

Allein findet man nicht heraus aus der Weltverdammnis. In den Hamburger Deichtorhallen erforscht eine Ausstellung die Beziehung des Schriftstellers Hubert Fichte und der Fotografin Leonore Mau

von CORD RIECHELMANN

Wie geht das? Wie lebt man ein Hubert-Fichte-Leben? Als er im März 1986 im Alter von 50 Jahren stirbt, hinterlässt Fichte nicht nur die teils Fragment gebliebenen Manuskripte für den auf 19 Bände angelegten Zyklus „Die Geschichte der Empfindlichkeit“, die man als ein Beispiel dafür lesen kann, wie literarische Wahrheitsproduktion funktioniert und was sie zu leisten imstande ist, sondern hat auch 69 oft längere Reisen unter anderem in die Karibik, nach Brasilien, Afrika und New York unternommen. In dieser scheinbar schlaflosen Aktivität aus Reisen, Schreiben und ein paar anderen Sachen gelingt Fichte das wirklich Unfassbare: Er vermeidet alle Fehler, die bundesrepublikanische Schriftsteller so machen und die ihre Arbeiten oft schal beschatten. Fichte verbarrikadiert sich weder wie Arno Schmidt als Solipsist in der Heide und bittet Frau und Katze beim Schreiben still zu sein, noch stilisiert er sich zum großen Einzelnen, der sich im Kampf gegen den Stumpfsinn der vielen in seiner Kunst aufreibt, wie es Rolf Dieter Brinkmann zum Ende tat.

Dabei ist Fichte in einigen Affekten beiden sehr nah. Wie Schmidt ist auch Fichte vom agrarisch-handwerklichen Mythos ländlicher Gegenden angezogen. Er absolviert ein Landwirtschaftsstudium, arbeitet bei Bauern in der Heide und in Frankreich und geht sein Leben lang gern spazieren. Wenn auch Letzteres eher nachts und in anderer Absicht als Schmidt. Mit Brinkmann verbindet Fichte der antiakademische Affekt, der ihn in die „Palette“ treibt. Jenen Ort der Gammler, Stricher und Trippertrinen, aber auch angehender Filmemacher wie Harun Farocki, in Hamburg, den Fichte im Roman „Die Palette“ zum Ausgangspunkt jeder weiteren literarischen Recherche im Nachtleben hierzulande gemacht hat.

„Nichts Nachempfundenes von Hochschulabsolventen mit Leihwagen“ wolle er schreiben, heißt es bei Fichte. Trotzdem fehlt bei ihm alles bellend Geifernde, das nur noch draufdrischt. Wenn Brinkmann in Rom während eines Stipendienaufenthalts in der Villa Massimo bloß Zerfall wahrnimmt und seinen Blick in weltverdammende Hasstiraden verwandelt, dann werden bei Fichte ähnliche Erfahrungen – auch Fichte war dort Gast, fand es schrecklich und brach den Aufenthalt ab – immer wieder in Sätze gebracht, deren Ton andere Auswege als den der Weltverdammnis sucht. Wie hat Fichte das gemacht? Die einzig sichere Antwort lautet: allein jedenfalls nicht.

Denn davon erzählt die Ausstellung „Hubert Fichte und Leonora Mau: Der Schriftsteller und die Fotografin – eine Lebensreise“ im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen. Die Ausstellung versammelt in der Hauptsache Fotografien von Leonora Mau aus der Zeit, die sie mit Fichte zusammenlebte und reiste. Dazu werden Kompositionspläne von Fichtes Büchern, Notizen, Erstausgaben, Prospekte touristischer Attraktionen in Vitrinen ausgestellt. Man kann Fichtes Stimme in von ihm gesprochenen Radiotexten hören und ein Fernsehgespräch ansehen, das der Kurator der Ausstellung, Winfried F. Schoeller, mit Fritz J. Raddatz kurz nach Fichtes Tod geführt hat.

Merkwürdigerweise schafft es Raddatz gerade in diesem Gespräch durch seine Wirrnis, Fichte lebendig erscheinen zu lassen. Obwohl Raddatz ein bisschen von der Rolle ist – er will nicht über Fichte in der Vergangenheitsform reden, der gestorbene Fichte solle sich dazusetzen –, meint er einmal, dass man in Fichtes Werk eine Ahnung von den Verschränkungen biografischer Details und künstlerischer Vorstellungen bekomme. Und es stört auch nicht, das Leonora Mau in dem Gespräch weder anwesend ist noch thematisiert wird. Sie ist sowieso immer da. Man denkt bereits nach den ersten Exponaten, gleich am Eingang steht eine Schreibmaschine vom Typ Olympia Monica electric mit dem Hinweis „Geschenk von Leonara Mau“, Fichte nicht mehr ohne sie. Was tatsächlich die große Leistung dieser Ausstellung ist, dass es ihr gelingt, Leonora Mau gegenwärtig erscheinen zu lassen, ohne ihr zu nah zu treten.

Als sich Mau 1961 endgültig für Hubert Fichte entscheidet, verlässt sie ihren Mann und ihre zwei Kinder. Sie ist 19 Jahre älter als Fichte, der als bekennender Homosexueller seine sexuellen Spaziergänge auch nach der Verbindung mit Mau nicht aufgibt. Wenn die Klappe am Hans-Albers-Platz leer ist, zieht er weiter. Auch in Portugal – Schauplatz des Romans „Eine glückliche Liebe“ –, wo die beiden einige Zeit miteinander verbringen, sucht Fichte die Plätze auf, an denen sich Homosexuelle treffen.

Sosehr das Werk Fichtes thematisch von seiner Homosexualität bestimmt ist, so wenig spielt sie in den Bildern von Mau eine Rolle. Wenn man mal davon absieht, das sie natürlich Fichte porträtiert. Die fotografischen Verweise auf die Lederszene stammen nicht von Mau. Ein Porträt von Kevin Duncan zeigt Fichte mit Ledermaske, und die Fotos aus der schwulen Sado-Maso-Szene sind von Gerhard Pohl. Gerade die Fotos von Pohl machen eine Eigenheit der Fotos von Mau deutlich: Sie dominiert ihre Fotos nicht – egal ob bei Porträts von Fichte mit einem Seelöwen auf Galapagos, von Hans Henny Jahnn und Ossi Wiener, Aufnahmen aufgeschnittener Leichen in der Pathologie oder Patienten in einer afrikanischen Psychiatrie. Immer bleiben die Gegenstände im Vordergrund, ohne dass man meint, nun ein Foto der Marke vor sich zu haben.

Was Mau und Fichte auf ihren Reisen gesucht haben, davon erzählt in Hamburg der Saal mit einem großformatigen Gemälde von Daniel Richter. Neben dem „Eure Nacht braucht keinen Mond“ betitelten Bild, dazu Fotos von Psychiatriepatienten, von einem Zaubermarkt und religiösen Festen, befindet sich dort ein Altar, auf dem auch frisches Obst ausgelegt ist. Der Geruch passt zu den tanzenden Körpern auf den Bildern. Anruf, Beschwörung und Litanei werden in den verschiedensten Kulten zu diversen rituellen Verfahren, deren Gründen Fichte nachging bis in die Favelas Südamerikas.

Bis 8. 1. 2006, Deichtorhallen Hamburg, Katalog 25 €

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