Imre Withalm blickt zurück auf vier Wochen Besetzung an der Humboldt-Universität: Mehr Kaffee gegen verstaubte Kehlen
Ein einsamer Staubsaugerroboter dreht entspannt seine Runden in den sich leerenden Räumlichkeiten des Instituts für Sozialwissenschaften. Manchmal verfährt er sich auf seinen Rundfahrten, dann ist sein Akku leer und er bleibt stehen. Der Roboter wurde für manche Studierende zu einer Art Maskottchen während der vier Wochen Besetzung, die sie gestern – also vor Beginn der vorlesungsfreien Zeit – für beendet erklärten.
Die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität war eine Reaktion auf die Entlassung des kritischen Stadtsoziologen Andrej Holm von seinem Posten als Dozent. Holm hatte bei seiner Einstellung 2005 falsche Angaben zu seiner Stasi-Vergangenheit gemacht. Letzte Woche nahm die HU diese Entscheidung zurück. Dadurch war die Hauptforderung der Besetzer*innen erfüllt.
Mittlerweile übergaben die Studierenden die meisten Räume staubsaugerrein, zogen sich aber in einen Seminarraum zurück. Die Verbliebenen wollen ihn für ihre politische Arbeit, Selbstorganisation und Vernetzung nutzen – ohne den Lehrbetrieb zu stören. Die HU-Leitung duldet dies nicht, der Raum würde damit „de facto nicht dem Institut zur Verfügung“ stehen. Sie fordert die Studierenden deshalb auf, den Raum freizugeben.
Sie konnten sich ausprobieren
Die vier Wochen Besetzung waren für viele Studierende, die teilnahmen, eine Zeit der Politisierung – weit über die ursprünglichen Forderungen hinaus. Sie konnten Wege der Selbstverwaltung ausprobieren, sich organisieren, Perspektiven entwickeln. Erfahrungen, die auch andere Generationen von Studierenden teilen. Sei es 1992, als am Marburger Institut einer Kollegin die Flügeltüren mit Kuhketten versperrt wurden. Oder 2009, als eine andere Kollegin an der Freien Universität zum ersten Mal mit quotierten Redner*innenlisten konfrontiert wurde. Die sollten dafür sorgen, dass nicht immer nur Männer sprechen.
Doch was könnte heute für den Studierendenprotest stehen? Ist es der viele starke Kaffee, der wochenlang durch die Kehlen der Besetzer*innen geflossen ist – während ihrer Treffen mit Mieter*inneninitiativen, während sie nachts Videos geschnitten oder das umfangreiche Programm koordiniert haben? Oder ist es doch der Staubsaugerroboter? Als Symbol steht er vielleicht eher dafür, was heute wie gestern bekämpft werden soll: Vereinzelung, Leistungsdruck und Verstaubtheit der Lehre.
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