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Darf’s noch eine Darmspülung sein

Gesundheit Kostenpflichtige Therapien sind beliebt, aber meistens fragwürdig, manche sogar schädlich

BERLIN taz | Das Geschäft mit der Gesundheit wächst und gedeiht. Rund eine Milliarde Euro setzten niedergelassene Ärzte im vergangenen Jahr mit sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IgeL) um, die größtenteils keinen erkennbaren therapeutischen Nutzen haben und in einigen Fällen sogar als kontraproduktiv eingeschätzt werden. Das geht aus dem „IgeL-Monitor“ des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands der Krankenkassen (MDS) hervor, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Auf Grundlage einer repräsentativen Befragung geht der MDS davon aus, dass rund ein Drittel aller Patienten 2016 derartige Angebote in Anspruch genommen haben. Dabei gehe es in manchen Arztpraxen zu „wie in einem Basar“, so MDS-Geschäftsführer Peter Pick. In vielen Fällen würden Patienten bereits vor der eigentlichen ärztlichen Konsultation nahezu genötigt, entsprechende Leistungen zu buchen. In einigen Praxen laufe zudem „Wartezimmer-TV“, das für bestimmte IgeL werbe. Man habe auch Berichte erhalten, nach denen Ärzte die Aufnahme der regulären Behandlung von der Buchung zusätzlicher Leistungen abhängig gemacht hätten. Dies ist nach Einschätzung des MDS eindeutig sittenwidrig, da die Gebührenordnung für Ärzte eindeutig festlegt, dass es sich bei IgeL um „Leistungen auf Verlangen des Zahlungspflichtigen“ handelt.

Von der Politik fühlt sich der MDS in seinem Bemühen um Transparenz im Stich gelassen.Die Forderung, bei der Novellierung des Patientenrechtsgesetzes im Jahr 2013 festzulegen, dass zwischen dem Angebot einer IGeL-Leistung und einem Vertragsabschluss mindestens eine Woche Bedenkzeit liegen muss, scheiterte am massiven Widerstand der Ärztelobby. Auch für eine Registrierung und obligatorische wissenschaftliche Bewertung aller IgeL-Angebote sei „derzeit keine Mehrheit in Sicht“, so Pick.

In seiner Übersicht beschreibt und bewertet der Medizinische Dienst 45 derzeit besonders häufig genutzte IGeL. 21 werden als „negativ“ oder „tendenziell negativ“ eingeschätzt“, da einem nicht nachweisbaren oder geringfügigen Nutzen erhebliche Risiken und Nebenwirkungen gegenüberstehen. Gewarnt wird unter anderem vor der als Colon-Hydro-Therapie verbrämten Darmspülung, bei der es in einigen Fällen zu Darmperforationen und gravierenden Störungen des Elektrolytehaushalts kam.

Nur drei IgeL erhalten die Bewertung „tendenziell positiv“, darunter die Lichttherapie bei sogenannten Winterdepressionen und Akupunkturbehandlungen zur Migräneprophylaxe. Der Rest gilt als „unklar“. Das bedeutet, nach Stand der Wissenschaft lassen sich weder Nutzen noch Schäden belegen.

Für Michaela Eikermann, die beim MDS den Bereich „Evidenzbasierte Medizin“ leitet, ist besonders das stetig wachsende Angebot an zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen ein „extremes Beispiel“ für das zweifelhafte Geschäftsgebaren vieler Ärzte. Obwohl die von den gesetzlichen Kassen angebotenen regelmäßigen Gesundheitschecks alle wesentlichen Risiken erfassten, würden „große Check-ups mit zum Teil grotesk vielen Untersuchungen und entsprechend hohen Preisen“ zwischen 500 und 1.500 Euro offeriert.

„In manchen Arztpraxen geht es zu wie in einem Basar“

MDS-Geschäftsführer Peter Pick

Anschließend werde Patienten dann mitunter mitgeteilt, dass zusätzliche apparative Untersuchungen bei weiteren Fachärzten nötig seien, „um mit einer Sicherheit von 90 bis 95 Prozent sagen zu können, ob Sie gesund sind oder bestimmte Störungen haben“, wie es in einem vom MDS dokumentierten Fall heißt.

Mit seiner vor fünf Jahren gestarteten Internetplattform igel-monitor.de bietet der MDS den Patienten eine Informa­tions­quelle an. Die Nutzerzahlen des Portals sind seitdem stetig gestiegen, derzeit sind es durchschnittlich über 2.000 pro Tag. Rainer Balcerowiak

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