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Burleske zum linken Filmkosmos„Kein einziger nicht verlogener Satz“

Geht die Berlinale auch mit links? Julian Radlmaier über seinen neuen Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“.

Julian Radlmaier vor urbaner Kulisse Foto: Wolfgang Borrs
Interview von Barbara Wurm

Julian Radlmaier kommt standesgemäß mit dem Fahrrad zum Interview. Als Warm-Up genügt Schwarztee, dann sind wir mitten drin: bei der kämpferischen Verteidigung des Kinos durch Jacques Rancière (den er übersetzt hat), der absurden Poetik des Daniil Charms (die im Film auch eine Rolle spielt) und schließlich seinem eigenen linken Filmkosmos.

taz: Herr Radlmaier, Ihre Filme tragen schöne linke Titel wie „Ein proletarisches Wintermärchen“ oder „Ein Gespenst geht um in Europa“. Der neue, „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, hatte nun gerade in Rotterdam Weltpremiere. Wie war es?

Julian Radlmaier: Es wurde viel gelacht während der Vorführungen, was schon mal gut ist. Ich bin nicht vielen Leuten begegnet, die den Film gesehen hatten, aber eine Szene war doch lustig: Es gab so einen Typen, der ein VIP-Frühstücksbuffet bewacht hat, zu dem wir nicht zugelassen waren. Er hatte den Film gesehen und uns deshalb angeboten, zu ihm zu kommen, um kostenlos essen zu können.

Sozusagen Solidarisierung als direkte Folge Ihrer „Selbstkritik“, wo Sie die Hauptrolle spielen: einen Filmemacher, der von der Sozialhilfe lebt.

Ich fand es ganz nett, dass mir eine alte Damen in der Fußgängerzone gesagt hat, ihr hätte der Film gefallen. Eine andere hielt ihren Daumen hoch. Es ist gut, wenn sich nicht nur alles im Rahmen der Branche bewegt, sondern auch andere andocken können.

Julian Radlmaier

geboren 1984, ist deutsch-französisch-schweizerischer Filmemacher. Sein aktueller Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ läuft am 17. 2. um 19.30 Uhr im Cinemax 3

Ihre Projekte handeln oft von der Aufhebung dieser Trennung zwischen Film- und Lebenswelt. Das Team (hier als utopische Erntehelfer-Arbeitskommune auf einer ausbeuterischen Apfelplantage) nimmt sich fast wie eine große Familie aus.

Ich habe zwar bewusst eine „interne jokes“-Situation vermieden, versuche aber, uns aus diesem professionalitätsfetischistischen Produktionszusammenhang zu lösen, mit Leuten zu arbeiten, die Freunde sind. Und vielleicht nichts mit Film zu tun zu haben. Was halt nur bedingt stimmt …

Denn da gibt es genug Filmleute – Kritiker, Regisseure …

Eigentlich stimmt es nicht, was ich sage. (lacht) Es sind ja doch alles Filmemacher. Oder die Eltern von Filmleuten.

Wie der Darsteller von Hong, des in der DDR aufgewachsenen Koreaners und kommunistischen Weltveränderers, der mit dem Schweizer Sancho seine Runden durch die Lohnarbeitswelten von heute zieht. Stimmt da irgendwas mit dessen Biografie überein?

Mit DDR-Marxismus hatte Kyung-Taek Lie, glaube ich, nichts zu tun. Er kam mit seinen Eltern nach dem Koreakrieg nach Deutschland, aber in den Westen, und ist politisch sehr interessiert. Der Punkt ist ja die Verschiebung von der realen Person zur Rolle. Meist funktioniert sie hier sogar umgedreht: Der radikalste Kommunist unter meinen Freunden muss dann „zur Strafe“ einen deutschtümelnden AfD-mäßigen Typen spielen.

Haben Ihre Kollegen und Freunde auch Einfluss auf das Skript? Auf den Text, der so konkret, so abgehoben und so unglaublich komisch zugleich ist?

So kollaborativ ist der Ansatz nicht, dass sie das Drehbuch mitschreiben würden. Mein Kameramann und mein Produzent sind stark involviert. Und hier war auch Jan Bachmann sehr wichtig, sogar eine Art Koregisseur, er hat inszeniert, wenn ich im Bild war.

Wenn man so oft im Bild ist und über sich spricht – wie viel Eitelkeit steckt da drin?

Also ich hoffe, dass ich mich so zum Idioten mache – auch in der Szene, in der ich sozusagen schon das Q&A des Films bei seiner Berlin-Festivalpremiere vorwegnehme –, dass das gar nicht Eitelkeit sein kann. Meine Figur sagt in dem Film keinen einzigen nicht verlogenen Satz. Für mich ist diese Figur so negativ, dass sie überhaupt nicht zur positiven Selbstdarstellung taugt.

Wie wichtig war dieses verspielte „Ich bin das selber“?

Ich konnte in gar keinem Fall irgendeinen anderen Filmemacher inszenieren und dann so tun, als würde das nicht mich betreffen, sondern einen anderen. Wer soll das dann sein? Ich konnte den Schwarzen Peter niemand anderem zuschieben, musste selber dafür einstehen, mit der Hoffnung, dass der selbstreflexive Modus sich auch überträgt in eine Zuschauerwahrnehmung. Dass man also nicht das Gefühl hat, da wird irgend jemand Drittes denunziert. Das war eher ein Selbstbefragungsmodus. Alles andere wäre ein stalinistischer Denunziationsfilm gewesen: Hier kommt der richtige Filmemacher, der euch jetzt den Schlimmfilmmacher zeigt.

Die Befragung ist auch eine politische, für die gerade die Art, wie die Figuren sprechen, eine formale Lösung findet. Ihr Kino bricht ja radikal mit jedem Naturalismus.

Problematisch ist es, wenn das Kino Leute, die eine „ganz bestimmte Sprache“ haben, auf „eine ganz natürliche“ Weise zeigt. Der Kurzschluss ist dann: Weil die so sprechen, sind sie in dieser gesellschaftlichen Position. Ein Arbeiter spricht wie ein Arbeiter, deshalb ist er auch ein Arbeiter. Ich verunklare das: Der Feldarbeiter spricht bei mir nicht wie ein Feldarbeiter. Und ich glaube nicht, dass man dann über die Figur lacht. Durch die Nichtverkörperung gibt es gerade die Reduzierung auf den Witz nicht. Wir haben es immer noch mit dem Menschen zu tun. Und versuchen den mit einer Straub’schen oder Pasolinesken Porträthaftigkeit zu filmen und ihm Würde geben.

Und die Selbstkritik des Bürgerlichen?

Auf meine Lebenswelt bezogen ist die Frage, welche praktischen Folgen die Auseinandersetzung mit politischer Theorie für mein Alltagsleben hat. Wenn sich das nicht vermittelt, besteht die Sorge, dass man das nur aus Distinktionsgründen betreibt. Oder weil es schick ist, sich politisch leicht anradikalisiert zu geben.

Zu welchem Genre zählt Ihr Film: eine Confessiones-Parodie? Eine politische Komödie mit magischen Wendungen?

Vielleicht ein burlesker Essayfilm. Er ist jedenfalls essayistisch entstanden, es ging darum, bestimmte thematische Aspekte unterzubringen. Aber in komödiantischer Form. Das andere wäre, dass ich vom Stil her versuche, anderswo anzuknüpfen: Mir schwirrt manchmal das Wort „populärer Modernismus“ durch den Kopf. Ein Versuch, an die populäre Tradition des modernen Kinos anzuschließen.

Haben Sie Vorbilder?

Vom Grundgestus her Jean Renoir, und natürlich Pasolini. Ich will nicht so vermessen sein, Charlie Chaplin zu sagen.

Wie ist man lustig?

Manche Szenen funktionieren ganz burlesk. Da sind Referenzen nicht wichtig. Wenn ich zum Beispiel auf die Fresse fliege, geht das auch ohne Chaplin.

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1 Kommentar

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  • Der Film klingt spannend, aber der Filmemacher scheint kein Interesse an der Komplexität der Sprache eines "Arbeiters" zu haben, der niemals wie "ein Arbeiter" spricht, sondern höchstens wie die bürgerlichen Klischeevorstellungen eines Arbeiters. Dass er es für nötig hält, dem Arbeiter "Würde zu verleihen", als hätte er nicht schon immer eine, offenbart eine Selbstwahrnehmung als eines Stifters von Menschlichkeit (unglücklicherweise eher typisch für weiße, westliche, neurotypische, heterosexuelle Männer). Während Pasolini die durchaus poetische Existenz der Arbeiter*innen auf der Strasse vorfand, oder Chaplin große persönliche Risiken einging, um mit seinen Filmen politische Stellung zu beziehen, scheint dieser Filmemacher eher bildungsbürgerlich situiertes Diskurskino zu machen, das sich um gefällige Versöhnlichkeit bemüht. Dabei wäre eine Selbstkritik, die über eine getarnte Selbstbeweihräucherung (denn es bleibt ja klar, dass der schlaue Julian hinter dem dargestellten schlimmen Julian steht), hinausgeht wirklich eine großartige Sache von diesen so beredten Männern.