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Kommentar Verurteilung NawalnysHysterischer Kreml

Auch in zweiter Instanz wurde Putins Konkurrent Alexei Nawalny zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Damit zeigt der Präsident Unsicherheit.

Putin demonstriert gerne Stärke. Im Fall Nawalny jedoch schimmert die Unsicherheit durch Foto: reuters

So unberechenbar der Kreml außenpolitisch ist, so voraussagbar reagiert er im Innern. Antikorruptionskämpfer Alexei Nawalny und sein Kollege Pjotr Ofizerow wurden nun auch in einem zweiten Prozess in der angeblichen Unterschlagungssache „Kirowles“ zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist eine Wiederholung des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unbegründet und unfair zurückgewiesenen Schuldspruchs von 2013. Moskau legt keinen Wert auf das Image eines Rechtsstaates.

Ob internationale Vereinbarungen oder supranationale Rechtsprechung, der Kreml entscheidet nach Maßstäben, die allein dort festgelegt werden. Außen wird die Selbstisolation – oder neutraler, die Konzentration auf sich selbst – oft als Stärke gewertet.

Im Fall Nawalny offenbart der Kreml allerdings Unsicherheit. 80 Prozent Zustimmung für Präsident Putin in Umfragen reichen nicht zur Beruhigung. Mit einem Freispruch hätte Russlands Führungsriege nun beweisen können, dass sie sich den Herausforderungen eines Nawalny gewachsen fühlt und kleine Schlappen sportlich wegsteckt. Stattdessen signalisiert dieses Urteil: Die Machthaber fürchten sich. Ja, sie zittern wo­möglich. Ein unabhängiger Kandidat wird zu den Präsidentschaftswahlen 2018 trotz aller Fallstricke nicht zugelassen.

Niemand traut den Zustimmungsraten anscheinend, obwohl sie nicht einmal erfunden sein müssen. Nur bieten sie keine Gewähr für unvorhergesehene Krisenzeiten. Der unerschrockene Nawalny flößt dem Kreml Angst und Respekt ein. Aus dem Stand mobilisierte er 2011/12 die größten Proteste der Putin-Ära. Kremlchef ­Putin wird ihm das nie vergessen.

Der Oppositionspolitiker Nawalny flößt dem Kreml Angst und Respekt ein

Auch der Westen sollte jedoch nicht vergessen, dass sich Russland nur stark fühlt, weil der Westen Schwächen zeigt. Er sollte den Fall Nawalny darauf hin analysieren, ob in der Furchtlosigkeit nicht Anregungen für eine selbstsichere Außenpolitik angelegt sind.

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5 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Manche Dinge ändern sich halt nie. Das mehrere hundert Jahre alte russische Gulag-System, oder die Schauprozesse gegen unliebsame Bürger. Dabei ist es völlig egal, dass eine Straftat nicht vorliegt. Es ist völlig egal, dass Unschuldige verfolgt werden von einem repressiven Unrechtsregime und seinen willfährigen Bütteln in Polizei und Justiz. Es ist völlig unerheblich, dass das erste Verfahren unter dem Verdikt eines unfairen, dh. menschenrechtswidrigen Verfahrensganges unheilbar leidet. Unbedingt muss dasselbe Verfahren mit demselben Ausgang und demselben Urteil noch einmal durchgeführt werden. Um den Sadismus und die Boshaftigkeit auf die Spitze zu treiben wurde der Bruder von Nawalnij wegen desgleichen erfundene Delikts zur gleichen Strafe verurteilt, nur ohne Bewährung. Er sitzt im Gulag, als Warnung für seinen aufmüpfigen Bruder. Diese Art der Sippenhaftung ist Stalinismus pur.

  • "Moskau legt keinen Wert auf das Image eines Rechtsstaates."

     

    Der Autor offensichtlich ebenfalls, wenn er der "russischen Führungsriege" nahelegt, dass sie einen Freispruch hätte willkürlich herbeiführen/anordnen sollen, um zu demonstrieren, dass sie "kleine Schlappen sportlich wegsteckt".

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @markstein:

      Die russische Führungsriege hätte sich nur heraushalten müssen. Es hätte weder Ermittlungen, noch Anklage noch Urteil gegeben. Denn eine nicht nichtexistente Straftat wird in einem Unrechtsregime nur auf Befehl von oben verfolgt. Die russische Führungsriege hätte es nach der schallenden Ohrfeige aus Straßburg auch bei dem status quo belassen können. Aber nein, die Farce muss weitergehen, egal wie dumm und peinlich das alles rüberkommt ...

    • @markstein:

      Es kommt ja noch besser. Mit diesem Satz ""Moskau legt keinen Wert auf das Image eines Rechtsstaates." und dem Rest des Artikels, sagt der Autor ja, dass es sich erst um einen Rechtsstaat handelt, wenn ein Verfahren den Ausgang erhält, den jemand von oben anordnet. ^^

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    I'm a lone-, lonesome rider

    It's hard to be a hard man like me