piwik no script img

Helfer über Obdachlosigkeit in Berlin„Ein Bier kann Leben retten“

Der Leiter der Bahnhofsmission vom Berliner Bahnhof Zoo berichtet, wie man mit Menschen auf der Straße umgehen sollte.

„Ein Gemeinwesen kann nur mit gegenseitiger Rücksichtnahme existieren“, sagt Dieter Puhl von der Bahnhofsmission Foto: reuters
Paul Toetzke
Interview von Paul Toetzke

taz: Herr Puhl, die Menschen stehen Schlange vor dem Eingang. Draußen herrschen Minusgrade. Hat die Bahnhofsmission genug Kapazitäten?

Dieter Puhl: Die Herausforderung ist es, weitere solche Einrichtungen in Berlin aufzumachen. Ich will hier kein Ghetto für Obdachlose aufmachen. Die Leute haben vor Jahren schon gesagt: „Dahinten eröffnet ein Riesenrad, daneben Waldorf-Astoria. Ein Pennerladen wird hier keinen Platz finden.“ Inzwischen expandieren wir, während andere Einrichtungen schließen. Andererseits: Wenn vor meiner Tür die Bahnhofsmission Zoo öffnen würde, würde ich eine Bürgerinitiative dagegen gründen.

Angenommen, es gäbe diese Bürgerinitiative und Sie wären der Chef der Mission, was würden Sie diesen Leuten sagen?

Ich würde sagen: „Ein Gemeinwesen kann nur mit gegenseitiger Rücksichtnahme existieren.“ Aber ich würde auch sagen: „Guckt euch den Laden bitte einen Tag an.“ Danach kann ich noch immer verstehen, wenn jemand ab und zu einen dicken Hals hat. Aber es bekommt eine andere Betonung.

Sie haben auf Facebook geschrieben, dass die Bahnhofsmission vielen Menschen oft nur ein „langsameres Sterben“ bieten kann. Ist das nicht zynisch?

Bezogen auf die Menschen aus Osteuropa, die hierher kommen in der Hoffnung auf Leben und denen wir oft nur ein langsameres Sterben gewähren können, ist das leider so.

Fakt ist ja, dass es immer mehr Obdachlose in Berlin gibt. Sie selbst gehen von mindestens 7.000 obdachlosen Menschen aus. Das liegt ja nicht nur an den Zuzüglern aus Osteuropa.

Paul Toetzke
Im Interview: Dieter Puhl

ist Leiter der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo. Die taz diskutiert mit ihm und anderen am Donnerstag, 19. Januar, im „Warmen Otto“, Wittstocker Str. 7, Berlin: „Mittendrin am Rand. Wie Obdachlose die Welt sehen – und wie wir sie sehen“.

Es gab hier früher in Berlin eine Szene, in der Sozialarbeit noch gegriffen hat. Da gab es 500 bis 1.000 Obdachlose und die Zahl hielt sich. Wir hatten gute Wohnprojekte, man konnte mit Menschen ein bis drei Jahre arbeiten. Heute hat man dafür maximal ein dreiviertel Jahr. Kostendruck, es ist kein Geld da. Die Gesellschaft hat sich schon fast daran gewöhnt. Und auf dieser Basis sind jedes Jahr weitere Menschen dazugekommen. Sowohl Deutsche als auch Menschen aus Osteuropa. Ich habe gerade gelesen, in Polen seien „erst“ 15 Menschen erfroren. Und dann hört man dort, dass es in Berlin Notunterkünfte gibt und die Leute spendenbereit sind. Was machst du dann wohl?

Oft fragt man sich selbst, wie man richtig mit Obdachlosen umgeht. Ein Beispiel: Ich sitze in der U-Bahn. Draußen ist es eiskalt, ein Obdachloser fragt nach Geld. Er riecht nach Alkohol. Wie verhalte ich mich?

Alle Obdachlosen sind im Regelfall Menschen, die ihren Platz in unserer Mitte hatten. Es könnte meine Mutter sein, die gerade demenzerkrankt durch den Tiergarten irrt. Ich habe mir einen Betrag gesetzt, den ich jeden Tag unter die Leute bringen möchte.

Auch wenn Sie wissen, die Person gibt das für Alkohol oder Drogen aus?

Wenn man zehn alkoholerkrankte Menschen drei Tage lang kalt entziehen lässt, sterben drei an den Folgen des Entzugs. Genau darum sage ich: „Ein Bier kann Leben retten.“

taz.meinland

Was ist taz.meinland? Bis zur Bundestagswahl im September reist die taz durch meinland, deinland, unserland. An gut 50 Stationen machen wir Halt, um ins Gespräch zu kommen und für die offene Gesellschaft zu streiten.

Wie sollte man Obdachlosen begegnen, die so stark riechen, dass viele Fahrgäste die S-Bahn verlassen?

Auf längeren S-Bahn-Fahrten begegnet man verschiedenen Typen. Du hast Menschen, die die moz oder den Straßenfeger verkaufen. Du hast Musiker, die den letzten Scheiß spielen – dann gebe ich ihnen meistens was. Wenn sie richtig gut sind, bekommen sie in der Regel genug Geld. Und dann hast du noch den Murmler. Der riecht und sieht angeschlagen aus. Und der ist im Zweifelsfall auch mir unangenehm für einen Moment. Bei dem kannst du davon ausgehen, dass er abends 20 Cent hat. Und wenn sich Leute fragen, warum der sich nicht wäscht, kann ich nur antworten: Wo denn? Wir haben hier jetzt zwar ein Hygienecenter, aber das wird auch nicht jeden am Stadtrand retten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Leider meint die Regierung ja, dass man diese Armen braucht, um die Hartz4 Empfänger folgsam zu halten. Wär ja echt schön, wenn mal eine Regierung was für die Ärmsten der Armen täte. Aber die meisten Reichen geben halt freiwillig nix wieder her.