Die Wahrheit: Die braune Droge
Nutella happens: Einer der gefährlichsten Stoffe der Welt wird jeden Morgen auf flache Scheiben Brot geschmiert. Das Suchtpotenzial ist immens hoch.
H eute morgen ist es also passiert. Ich schlurfte, nichts Böses ahnend, in die Küche und fuhrwerkte mit dem alten Geschirr herum, als mein Blick auf den Löffel fiel. Es war ein kleiner Löffel nur, ein Teelöffelchen. Ich aber begriff sogleich, wozu dieser Löffel benutzt worden war. Ich erkannte die schlierig-fettigbraune Masse auf der silbernen Kelle. Nutella, verdammt. Mit dem Löffel.
Dabei hatte ich doch das Glas vor einer Weile selbst gekauft, um die Kinder für irgendwas zu belohnen: „Na gut, Nutella, meinetwegen …“ Seitdem lagerte das Nutella im Schrank und wurde nur hin und wieder auf Brötchen geschmiert. „Aber schön dünn, ja? Dünner! Danke, ich möchte nichts davon“, sagte ich dann, so ruhig und unbeteiligt wie möglich. Dabei spürte ich schon, wie meine Hände feucht wurden.
Nutella ist, was wenige wissen, die vielleicht gefährlichste Droge der Welt. Es sollte im Stadtpark oder in Unterführungen am Bahnhof verdealt werden, nicht im Supermarkt. Am Anfang ist Nutella eine nette Sache, dann ist es immer häufiger eine sehr nette Sache. Irgendwann ist mehr Nutella drauf als Brot drunter, und am Ende steht man mit dem Löffel in der Küche und schaufelt das Zeug besinnungslos in sich hinein.
Angefixt wurde ich schon früh. Mit „dem Besten aus der Milch“! Ich liebte Milch! Enthält „Eisen“? Her damit, ich bin der Eiffelturm! Rasch lernte ich, echtes Nutella von dünnflüssigerem Urlaubsnutella zu unterscheiden, stieg bald auf das XXL-Glas mit 750 Gramm um, wünschte mir den Drei-Liter-Eimer zum Geburtstag und bekam zu Weihnachten den Bottich mit fünf Litern.
Zusehends quoll ich auf und watschelte als wabbelige Skulptur aus Palmöl und Zucker durch meine Pubertät, immer auf der Suche nach dem nächsten Shot oder, wie wir in der Szene sagen, meinen Schlorf. Erst als ich aus dem Inneren eines Brötchens den weichen Teig klaubte, um den Hohlraum mit Nutella zu füllen, und mir so einen unauffälligen Nuss-Nougat-Flachmann auf Weizenbasis bastelte, erahnte ich mein Problem.
Nur mühsam bin ich davon losgekommen. Nussetti, Nussano, Nudossi, Nutoka oder Nusspli waren mein Methadon. Dann Tannenspitzensirup, gefolgt von Zuckerrübensirup, endlich Zuckerwürfel, dann Süßstoff. Derzeit verrühre ich Stevia mit Avocado, um meinem Körper die Zufuhr von Süßem und Fettigem zu suggerieren – und träume weiter von „Nutella Light“. Denn ganz los kommt man von diesem Stoff nie. Ich bin ein trockener Nutelliker, immer auf Entzug und rückfallgefährdet.
Wie ferngesteuert also nahm ich heute morgen den Löffel, holte lautlos das Glas aus der Schublade und schraubte es auf. Verlockend schlug mit der altbekannte, modrigsüße Duft entgegen – aber das Glas war leer. Nur an den schlecht erreichbaren Rändern klebten noch Reste der einst 2.500 Kalorien. Ich setzte mich an den Küchentisch und weinte ein Weilchen. Dann weckte ich die Kinder und machte ihnen die Hölle heiß.
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