: Das bandgewordene Bällebad
Überwältigung Im Huxleys schossen die psychedelischen Prog-Rocker The Flaming Lips ein wahres Bühnenfeuerwerk ab – und blieben dabei seltsam uninspiriert und lahm
von Philipp Fritz
Wieder holt sie weit aus mit ihrem rechten Arm, drückt sich sogar mit ihren Füßen nach oben, um ans Becken zukommen. Warum nur steht es so hoch? Die Schlagzeugerin und Sängerin des englischen Duos Georgia wirkt bisweilen, als wäre ihr ihre Band zu klein, zu leise. Ihre schnellen Sechzehntel wollen mehr als diesen Synthie- oder Post-Grime-Pop. Hat sie gerade nichts zum Hämmern, steht sie auf, läuft zwei Meter hin und her und ruft ihren Text ins Mikro. Großartig!
Nach zehn Minuten jedoch ist Schluss, der Sound fällt aus. Georgia spielen trotzdem weiter, auf der Bühne scheint alles so zu klingen, wie es soll. Zehn Minuten Warten, dann gehen sie genervt hinter den Vorhang. Ein Kratzen kommt aus den Boxen, es ruckelt laut, und nachdem die beiden Mädchen wieder auf die Bühne gekommen sind, spielen sie noch einen Song.
Das Publikum im Huxleys hat sich längst abgewandt, es ist ohnehin für den Hauptact hier, The Flaming Lips aus Oklahoma City, das bandgewordene Bällebad. Drei Anläufe braucht Sänger und Animateur Wayne Coyne, um mit seiner Band ins Intro zu starten. Wie ein Dirigent fuchtelt er mit seinen Armen in Richtung der Gitarre oder des Schlagzeugs. Einige Sekunden kann der Zuschauer glauben, dass die Band nicht sofort alles verballert, was sie hat. Aber wer auf einem Konzert von The Flaming Lips ist, bekommt eben auch The Flaming Lips.
Der Sound hat sich nach dem Ausfall während der Show von Georgia immer noch nicht erholt. Er ist lasch und zurückgefahren. Dafür aber lässt Coyne nach den ersten Takten Konfetti und gymnastikballgroße Ballons von der Decke fallen. Darüber lässt sich schnell vergessen, dass ja auch noch eine Band auf der Bühne steht. Immerhin behindern die Ballons die Idioten, die mit ihren Smartphones filmen.
The Flaming Lips sind bekannt für ihre knallbunten, an Ausflüge in einen Freizeitpark erinnernden Auftritte – Berlin ist da gewiss keine Ausnahme. Jedes Mal, wenn der Besucher denkt, es könne nicht noch dicker kommen, springt ein riesenhaftes Plüschwesen auf die Bühne, oder Sänger Coyne lässt sich auf einem silbern funkelnden Einhorn oder Alpakahorn aus Plastik durch den Saal ziehen. Allerdings springt der Funke nicht richtig auf das Publikum über, es muss nah am Bühnengeschehen sein, um von der Show aufgesogen zu werden oder hinten auf den Treppen stehen, um sich wenigstens mit Abstand über das Treiben zu freuen. Das Feuerwerk von The Flaming Lips wirkt seltsam uninspiriert und lustlos.
Die Fans der Band aber sind treu und liebesblind. Im Huxleys sind dies nicht nur Männer, die zwischen 35 und 55 Jahren alt sind und schon die frühen Alben der 80er und 90er Jahre gehört haben, sondern auch jüngere Jahrgänge, Studenten und Endzwanziger. Nur die wirklich jungen, die Snapchat-Generation, haben The Flaming Lips offenbar nicht erreicht, obwohl sie zuletzt sogar Songs mit Miley Cyrus produziert haben.
Coyne und seine Band machen eigentlich Musik – und das sehr erfolgreich. Sie haben 14 Studioalben, Soundtracks und Compilations produziert. Mit ihrem psychedelischen, rockopernhaften Sound haben sie sich eine riesige Fangemeinde erspielt. Dabei haben sie sich jedoch stets weiterentwickelt. Vor allem ihr neues Album „Mlody oczy“ zeugt davon. Im Huxleys ist nach dem David-Bowie-Cover „Space Oddity“ und dem Hit „Race for the Prize“ einer der Höhepunkte des Abends „How“ des 2017er-Albums. Das Stück ist minimalistisch und pompös zugleich: Erst spät einsetzende Drums, Coynes sphärischer, klarer Gesang und ein regelmäßig surrender supertiefer Monsterbass. Der Track kam übrigens gut ohne visuelle Effekte und Klimbim aus.
The Flaming Lips sind die musikalische Entsprechung des Überwältigungskinos von Roland Emmerich: Für den Moment beeindrucken die Filme des Regisseurs, aber wenn man sie nicht gesehen hat, ist es auch nicht so wild.
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