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Kolumne LügenleserPotzblitzkrieg!

Juri Sternburg
Kolumne
von Juri Sternburg

Für die AfD ist der Tabubruch oberste Maxime, da kann ein Höcke den Arm gar nicht hoch genug halten. Ihre Wähler verstehen sehr gut, worum es geht.

Massenmörder Anders Behring Breivik mit deutschem Gruß vor Gericht am am 10.1.2017 Foto: dpa

D as Handy vibriert. Mehre News-Apps senden Push-Nachrichten. Ein untrügliches Zeichen, dass es etwas Wichtiges passiert sein muss.„News-Apps und Push-Nachrichten, wer soll denn diese entartete Sprache noch verstehen?“ Ist gut, Internet, jetzt geht es erst mal um was anderes. In letzter Zeit waren die „Eilnews“ immer öfter erschreckend irrelevant oder gar falsch. Spiegel Online meldete vor wenigen Tagen das Verbot der NPD und entschuldigte sich kurz darauf. So ein „Eilnews“-Account lebt eben von der Schnelligkeit. Passiert den Besten.

Und diesmal? „Nach umstrittener Rede: AfD-Vorstand stimmt gegen ein Ausschlussverfahren im Fall Höcke.“ Potzblitzkrieg! Wer hätte das gedacht. Dabei hatte sich die Petry doch schon halbgar distanziert. Über WhatsApp wurden Bildchen mit einem Riss in einer ewigen Eisfläche verschickt. Der Text dazu lautete: „Ausschluss von Björn Höcke = Spaltung in Ost- und West-AfD! Lieber Bundesvorstand, seien sie keine Spalter!“

Woher ich das weiß? Weil ich in Netzwerken bin, in denen solche Aufrufe verteilt werden. Das ist wesentlich informativer und aufschlussreicher, als darauf zu warten dass sich eine Partei, die den Tabubruch als oberste Maxime auserkoren hat, selbst zerfleischt, oder über den Stock zu springen, den Minusmenschen wie Höcke einem vorhalten.

Inzwischen hält er den Stock extrem hoch. So hoch, dass der Arm gerade ausgestreckt auf Höhe seines Kopfes zu finden ist. Und dennoch wird wieder fleißig gesprungen. Und nun, als klar ist, dass es in der AfD mal wieder weitergeht wie zuvor, kommen erneut die Kommentare, die man schon vor einem Jahr lesen konnte. „Damit unterscheidet sich die AfD von der NPD nur noch durch ihren Namen. Wer AfD wählt, wählt Nazis“ oder „Jetzt wird wenigstens klar, wofür diese Partei steht.“

Als ob man mit Worten hier noch was erreichen kann. Als ob es jemals eine Frage war, wofür diese Partei steht.

Wer ist hier verwirrt?

Als ob die Wähler nicht genau wüssten, wen sie da wählen. Als gäbe es keine erschreckend hohen Anteil an Menschen mit faschistischen, rassistischen und antisemitischen Gedanken in diesem Land. Als läge das Potenzial für eine offen rechtsradikale Partei in Deutschland nicht locker bei 25 Prozent.

Auch die Gegner der AfD denken, dass es sich bei dem Großteil der Anhänger um etwas verwirrte oder schlecht aufgeklärte Menschen handelt, die beim x-ten Tabubruch schon merken werden, dass es so aber nun wirklich nicht geht. Irgendwann werden die doch aufwachen. Dass Politik so nicht mehr funktioniert, wurde unlängst bewiesen. Danke, Trump.

„Ihr müßt sie lieb und nett behandeln / erschreckt sie nicht – sie sind so zart! / Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln, / getreulich ihrer Eigenart! / Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –: Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ schrieb Theobild Tiger 1931 hoch ironisch. Der spontane Kuss vor der Kamera, den Alt-Right-Aktivist Richard B. Spencer während Trumps Amtseinführung vor laufenden Kameras kassierte, war ein schönes Beispiel. Wenn wir Faschismus erkennen, muss die Antwort immer aktiver Antifaschismus sein.

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Juri Sternburg
Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  
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2 Kommentare

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  • 8G
    80336 (Profil gelöscht)

    Gut, dass Kurt Tucholsky schrieb, und es ist gut, zu lesen, dass es heute noch Menschen gibt, die verstehen, weswegen er so schreiben musste.

     

    Die Überraschung ist, dass er seinen damaligen Text auch heute nach über 80 Jahren noch nicht überarbeiten müsste, und die geistige Nullinie und Impertinenz sich wie eine Seuche ausbreitet.

     

    Und so kann Werner Schneyder nur zugestimmt werden, der vor ca. 30 Jahren sang:

     

    "Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky,

    Ihr Selbstmord war nicht übereilt."

  • Es geht NICHT "um was anderes" im Fall der AfD. Es geht (u.a.) um Fremdsprachen, um Schnelligkeit und um den sogenannten Distinktionsgewinn. Es geht darum, dass viele Menschen dafür zahlen, dass wenige sich (zu Unrecht) für was Besseres halten können. Für einen zweiten T. T. etwa.

     

    Gut, dass Tucholsky tot ist. Er wäre sicher nicht sehr einverstanden mit seiner Instrumentalisierung. Der Mann hat seinen Kopf zum Selbstdenken gebraucht. Er konnte ihn gar nicht verleihen. Je nun. Wir können ihn ja nicht mehr fragen. Deswegen: Lassen wir das jetzt.

     

    Nein, so etwas passiert "den Besten" grade NICHT, dass man sie nicht versteht. Dass man sie nicht versteht, passiert bloß Leuten, die gar nicht verstanden werden wollen. Schon zweimal nicht von denen, die nicht zu jenen Kreisen gehören, in die sie selbst ein- oder aufsteigen wollen. Die Besten drücken sich so aus, dass die verstehen können, die verstehen müssen.

     

    Vielleicht hat Juri Sternburg sich zu lange in den falschen "Netzwerken" herumgetrieben. Der Glaube, dass es Herren-Menschen gibt (und "Damen-Menschen", die gef***t gehören), hat offensichtlich abgefärbt. Sehr schade, finde ich. Und eines Tigers total unwürdig.

     

    Nein, er soll nicht warten, dass sich die AfD selber zerfleischt. Er sollte auch nicht über Stöckchen springen, wie er es hier gerade tut. Dagegen, dass das rechte Potenzial hier "locker bei 25 Prozent" liegt, hilft es nur auch nicht, wenn die Linken rechte Pfade gehen, das haben 40 Jahre DDR gezeigt.

     

    Mensch KANN mit Worten was erreichen - wenn diese Worte nur verständlich sind. Ich schlage also vorerst vor, nicht großspurig herumzublöken. Wofür das AfD mal stehen würde, war bloß den Leuten sonnenklar, für die das Neue eh immer das Schlechte ist.

     

    Trump macht uns allen derzeit klar, wie Politik noch nie gelaufen ist. (Danke dafür.) Ja, die Antwort auf erkennbaren Faschismus muss aktiver Antifaschismus sein. Immer. Die Frage ist bloß: Wie sieht der aus? Wie das Politbüro etwa?