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Die Spitze des Heißbergs

Hitze 2016 war die Erde so warm wie noch nie seit Beginn der Messungen. Die Klimaziele der Weltgemeinschaft sind kaum noch zu erreichen. Und die Auswirkungen sind schon jetzt mit Händen zu greifen

Einer der letzten seiner Art? Ein Eisberg im Sonnenuntergang vor der Westküste Grönlands Foto: Antoine Lorgnier/Biosphoto/afp

von Bernhard Pötter

BERLIN taz | Donald Trump liegt im Trend. Für seine Amtseinführung am Freitag in Washington, D.C., erwarten die Meteorologen Regen und höhere Temperaturen als normal im Januar. Wenn der Mann US-Präsident wird, der gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse die Erderwärmung bezweifelt und sich mit einer Truppe aus Leugnern des Klimawandels umgibt, bringt sich die Atmosphäre eben selbst ins Spiel.

Und zwar mit einem globalen Hitzerekord. 2016 war das wärmste Jahr, das auf der Erde je gemessen wurde. Nach aktuellen Daten der Weltorganisation für Metereologie WMO lag die globale Durchschnittstemperatur um 1,1 Grad Celsius höher als vor ­Beginn der Industrialisierung 1850 und 0,83 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. Für die Daten hat die WMO die Messergebnisse der renommiertesten Institute in den USA und Europa zusammengeführt.

Damit folgt nach 2014 und 2015 ein weiteres Jahr, in dem die Temperaturen so hoch lagen wie nie. Es wird immer schneller immer wärmer. 15 von 16 Rekordjahren lagen im 21. Jahrhundert – einzige Ausnahme war 1998, als ein extrem starkes Wetterphänomen „El Nino“ im Pazifik die globale Heizung hochdrehte. Auch 2015/16 verzeichneten die Wissenschaftler wieder ein starkes „El Nino“, das aber nur für etwa 0,1 bis 0,2 Grad zusätzlicher Rekordhitze verantwortlich gemacht wird, so neue Berechnungen.

„2016 war ein extremes Jahr für das globale Klima und sticht als heißestes Jahr der Geschichte heraus“, sagte WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. „Aber die Temperaturen erzählen nur einen Teil der Geschichte.“ Gleichzeitig gibt es so viel der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre wie nie zuvor; noch nie war das Meereis an Nord- und Südpol so dünn und wenig ausgedehnt wie jetzt; die Gletscher in Grönland – die anders als das schmelzende Eis in der Arktis oder der demnächst losbrechende gigantische Eisberg „Larsen C“ in der Antarktis den Meeresspiegel anheben – schmelzen schneller und früher.

Die Daten widerlegen die Theorie einer „Pause der globalen Erwärmung“, die in den letzten Jahren besonders unter Klimaskeptikern zirkulierte. Aus den Temperaturkurven wollten sie ein „Jahrzehnt der Abkühlung“ ablesen, ausgehend vom extrem warmen Jahr 1998. Doch der langfristige Trend zeigt schon seit Jahrzehnten immer nur aufwärts. Und die Erwärmung geht in sensiblen Gegenden deutlich schneller als im Mittel. „Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt“, sagte WMO-Chef Taalas.

Erst vor Kurzem hatten Studien gewarnt, der großflächige Verlust der Eisflächen rund um den Nordpol könne weltweit die Wettermuster durcheinanderbringen und physikalische Prozesse anstoßen, die nicht mehr rückholbar sind. Voller Skepsis blicken die WMO-Experten auch auf die gigantischen Vorräte an Methan, die im gefrorenen Boden von Kanada und Russland lagern: Taut der Permafrost, setzt er das Methan frei, das kurzfristig etwa 86-mal so stark die Atmosphäre aufheizt wie CO2 – das wäre ein Teufelskreis der Erwärmung.

Mit den neuen Rekorden rückt die Erreichung des UN-Klimaziels in weite Ferne. Das Pariser Abkommen zum Klimaschutz, das letztes Jahr in Kraft trat, will die Erwärmung auf „deutlich unter 2 Grad Celsius“ beschränken und sogar 1,5 Grad ins Auge fassen. Diese Schranke rückt nun schnell immer näher. Beim jetzigen Tempo der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ist das Budget für 1,5 Grad bereits 2021 ausgeschöpft – also in vier Jahren.

Für die Klimakrise sind die regelmäßigen Temperaturrekorde aber nur die Spitze des Heißbergs. Die Überfrachtung der Atmosphäre vor allem mit CO2 lässt auch die Ozeane versauern und wärmer werden, sie erhöht das Risiko von Dürren und Überflutungen, sie bringt das Ökosystem aus dem Gleichgewicht und gefährdet den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Alle diese Entwicklungen gehen fast ungebremst weiter, auch wenn ein Jahr einmal keinen Hitzerekord bringt – so wie das der Ozeanexperte Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) für 2017 erwartet.

Rahmstorf ist auch besorgt wegen einer Entwicklung, die erst einmal dem allgemeinen Trend zur Erwärmung widerspricht: Messungen zeigen, dass das Meerwasser im Atlantik vor der Ostküste der USA kälter wird. Für Rahmstorf ein Hinweis auf das nächste mögliche Riesenproblem: eine Abschwächung des Golfstroms.

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