piwik no script img

Coming-of-age-Film „Diamond Island“Ein süßer Sog, ein Abheben

Ein Motorrad und ein wenig Geld für Essen und Bier: „Diamond Island“ von Davy Chou erzählt vom Erwachsenwerden in Phnom Penh.

Die einen bauen Häuser, die anderen amüsieren sich: „Diamond Island“, ein Viertel in Phnom Penh Foto: Rapid Eye Movies

Es ist eine mühselige Arbeit, die Bora (Nuon Sobon), ein junger Mann aus einem kambodschanischen Dorf, auf Diamond Island verrichten muss. Diamond Island, in der Khmer-Sprache Koh Pich, ist ein Stadtviertel der Hauptstadt Phnom Penh. Bis vor wenigen Jahren war hier nichts weiter als Staub und Sand, nun wachsen riesige Gebäudekomplexe aus der Erde. Aber nicht irgendwelche, sondern teure, luxuriöse. In einem Werbespot, der Lust auf die Riesenbaustelle machen soll, ist von europäischer Ästhetik die Rede.

Diamond Island steht für ein Kambodscha, das aufschließen möchte. Doch für dieses Vorhaben braucht es Geld und Arbeiter wie Bora. Für einen kleinen Lohn sind sie am Modernisierungsunternehmen des Landes beteiligt und schicken die Hälfte des Verdienstes zurück an ihre Familien aufs Land. Besonders cool ist das nicht. Aber wie Bora geht es vielen. Regisseur Davy Chou bringt einige junge Männer in seinem Film „Diamond Island“ als Clique zusammen.

Da ist Dy (Korn Mean), ein androgyner Typ, der aus demselben Dorf wie Bora kommt und der manchmal ein Käppy mit einem US-Flaggen-Print trägt. Oder Virak (Nut Samnang), ein Pummelchen mit einem frisierten Hahnenkamm, der sich für unwiderstehlich hält. Er ist es auch, der den Jungs Nachhilfe in Sachen „Rumkriegen“ erteilt: Man muss eine Frau nur oft genug zu Befummeln versuchen, irgendwann unterlässt sie es, die tastenden Finger zu strafen.

Am besten wartet man außerdem auf den Valentinstag, denn dann wollen alle ihre Jungfräulichkeit verlieren. Ebenfalls essenziell: ein Motorrad oder etwas Vergleichbares und ein wenig Geld für Essen und Bier.

Der Film

„Diamond Island“. Regie: Davy Chou. Mit Nuon Sobon, Nov Cheanik u. a. Frankreich, Kambodscha u. a. 2016, 104 Min.

Diesen Unterricht hat jemand wie Solei (Nov Cheanick) nicht nötig. Solei ist hip, trägt die Haare lang, die Hose eng, und sein Motorrad leuchtet in der Nacht wunderbar blau. Solei ist der ältere Bruder Boras und er hat sich ziemlich lange nicht blicken lassen. Zufällig laufen sich die Geschwister über den Weg, ein Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Welten.

Kapitalstark im Hintergrund

Man erfährt, dass Solei von einem ominösen Amerikaner gesponsert wird, der in „Diamond Island“ zwar nie in Erscheinung tritt, aber offenbar kapitalstark im Hintergrund agiert. Bora soll die Baustelle verlassen und als Manager in einer Bar anfangen. Oder gleich mit nach Amerika kommen. Vorab gibt es aber schon mal das neueste iPhone, das finden auch die Mädchen gut.

Während sich die Hauptstädte der Nachbarländer wie Bangkok und Hanoi zu Metropolen ausgewachsen ­haben, dümpelt Phnom Penh in der ­Bedeutungslosigkeit dahin

Davy Chous Film ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden vor einer Kulisse, die gerade selbst im Begriff ist, erwachsen zu werden. Wobei „Erwachsenwerden“ sich hierbei weniger auf eine Reifung bezieht als auf ein buchstäbliches Wachsen: größer werden, bedeutender, gesehen werden. Wozu? Um mitspielen zu können. Denn während sich die Hauptstädte der Nachbarländer wie Bangkok und Hanoi zu Metropolen ausgewachsen haben, dümpelt Phnom Penh in der Bedeutungslosigkeit dahin.

Obschon die Schreckensherrschaft der Roten Khmer zwischen 1975 und 1978 bereits einige Jahre her ist – beinahe zwei Millionen Menschen fielen der maoistisch-nationalistischen Guerillabewegung zum Opfer –, stammen die guten Erinnerungen ausschließlich aus den Mündern der Älteren, die sich noch an eine Zeit vor Pol Pot erinnern können.

Verlorene Filme

Jene kommen auch in einem anderen Film Chous zu Wort, dem Dokumentarfilm „Golden Slumbers“ von 2012, der sich mit der einst blühenden Kinolandschaft Kambodschas befasst. Diese ist so gut wie verschwunden, weder Filmrollen noch Filmarbeiter haben die Siebzigerjahre überlebt – mit Ausnahme zahlreicher Musikstücke, die in den Karaokebars des Landes fortbestehen.

Auch in „Diamond Island“ wird Karaoke gesungen, jedoch nicht von Solei und seinen Freunden. Denn sie gehen lieber in Clubs tanzen oder treffen sich mit anderen Rich Kids auf Parkplätzen, um dort mit Frisbees zu spielen, die genauso blau leuchten wie die Motorräder und die Musikanlagen, die in den Kofferräumen der Autos eingebaut sind. Karaoke erscheint dagegen fast schon gestrig, vielleicht auch zu asiatisch. Das Modell, das Solei und seine Freunde vorleben, ist ein internationalisiertes; Kleidungscodes folgen einem Standard, wie er überall auf der Welt anzutreffen ist.

Von Regisseur Chou wird Bora nun als Grenzgänger eingesetzt zwischen denen, die Diamond Island errichten, und denen, die sich dort einen Jux machen. Unparteiisch bleibt er dabei nicht. Dennoch zählt zum stärksten Part des Films genau jener Teil, in welchem der große Bruder den kleinen an die Hand nimmt und ihm ein Phnom Penh zeigt, das er noch nicht gesehen hat. Es ist, als befände man sich auf einmal selbst in einem dieser Werbevideos, schwebte auf einem Motorrad durch die Stadt. Dazu erklingt dann atmosphärisch Basslastiges, und alle sehen ziemlich gut aus.

Ein süßer Sog, ein Abheben, ein Versprechen. Dass hinter alldem möglicherweise nicht allzu viel steckt, damit setzt sich Davy Chou in „Diamond Island“ auseinander. Aber auch, wie erhebend es sein kann, dazuzuge­hören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!