: Kein Castor, keiner geht hin
VERSTRAHLT Seit 1995 schauen regelmäßig alle ins Wendland auf Protestler und Atommülltransport. Nun ist es damit vorbei, es wirkt ruhig und still. Szenen aus dem wahrscheinlich niedlichsten Landstrich Deutschlands
AUS DEM WENDLAND INGO ARZT UND SEBASTIAN ERB
Grande Dame
Die Grande Dame des Wendländer Widerstandes, Marianne Fritzen, hat den Geist einer 35-Jährigen und den Körper einer 89-Jährigen. Das sagt sie über sich, in ihrem mit Büchern vollgestopften Haus am Waldrand. Seit 1973 hat sie unzählige Male demonstriert, zuerst gegen Atomkraftwerke an der Elbe, seit 1976 gegen das Endlager im Salzstock. Zweimal habe der Widerstand im Wendland den Bau von atomaren Wiederaufbereitungsanlagen verhindert. „Das waren noch Zeiten damals, als wir wie die Wilden durch den Wald gelaufen sind“, sagt sie.
Heute nimmt sie einen Stuhl zum Protestieren mit. Der Politik traut Fritzen nicht über den Weg. „Die wollen jetzt die Bevölkerung mitnehmen und beteiligen. Bitte, wie soll das gehen, wenn ich ein Endlager für Atommüll suche?“, fragt sie, mit den Fäusten fast auf den Tisch hämmernd. Sie zeigt ein Familienfoto: fünf Kinder, dazu zwei angeheiratete, ein Haufen Enkel. Die schreiben sich alle auf Facebook, davon hält sie nichts. „Wenn einer was will, soll er eine Mail schreiben.“ Sie entschuldigt sich, sie muss heute noch nach Hamburg.
Bauer mit Hund
Leo, der Hund des Landwirts Peter-Wilhelm Timmes, ist ein großes, schwarzes, treuherziges Tier und das einzige seiner Art, das Castoren schottert. Das machen sonst nur Menschen. Sie entfernen den Kies aus dem Gleisbett, um einen Castorzug aufzuhalten. Auch Leo schottert, erzählt Timme, einmal zeigte ihn das Fernsehen, wie er inmitten des Protestchaoses Schotter aus einem Gleisbett scharrte.
Timme selbst ist Mitte 50, Vater von drei Kindern und wie sein Hund Castorgegner. Timme hat schon mindestens zehnmal Protestcamps auf seinem Hof beherbergt und ist heilfroh, den Stress in diesem Jahr nicht zu haben. Denn einen Satz sagt er immer wieder: „Wir machen das nicht zum Spaß. Wir demonstrieren, weil wir ein Ziel haben, wir wollen hier keinen Atommüll“, sagt er. Die Anzeigen gegen ihn füllen ganze Ordner, er hat bisher alle Prozesse gewonnen. Sonst betreibt er eine Biogasanlage, verkauft eigene Wurst, Honig, Karoffeln, Eier. Oder er gurkt mit dem Trecker 190 Kilometer zum AKW Grohnde, um gegen die Anlieferung von MOX-Brennelementen zu demonstrieren.
Politaktivistin
Kerstin Rudek sitzt in Pretzetze an ihrem Esszimmertisch und beantwortet Facebook-Anfragen. Wann der nächste Castor kommt, will einer wissen. Vielleicht 2014, schreibt sie, eher 2015. Langweilig wird ihr bis dahin nicht. Bis April war die 44-Jährige fünf Jahre lang Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, ein Vollzeitjob, ehrenamtlich.
„Das war nur möglich, weil meine Familie mitmacht“, sagt Rudek. Sie ist im Wendland aufgewachsen und wohnt nun ein paar Kilometer Luftlinie vom Zwischenlager entfernt. Jetzt will Rudek in die Politik. Sie steht auf Listenplatz 7; wenn die Linkspartei in den niedersächsischen Landtag kommt, ist sie drin. „Das schaffen wir“, sagt sie, „denn Gorleben ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Die Grünen hätten an Zuspruch verloren, seitdem sie Gorleben nicht kategorisch ausschließen. Bei der SPD widersprechen sich Landes- und Bundespolitiker. Dass die Endlagersuche jetzt wirklich ergebnisoffen ablaufen wird, glaubt Rudek nicht. Ihr Eindruck: Es wird nur noch die Strategie entwickelt, um in Gorleben den Atommüll für immer einzulagern.
Castorfreund
Erwähnt man im Wendland den Namen des Bürgermeisters der Samtgemeinde Gartow, entfährt es den Meisten spontan: „Ach, der Dicke“. Friedrich-Wilhelm Schröder ist gewählter Verwaltungschef von fünf kleineren Gemeinden und damit auch von Gorleben – und er steht für den Teil des Wendlands, der nicht gegen den Castor demonstriert.
„Im Wahlkampf habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich dem Zwischenlager positiv gegenüberstehe“, sagt der 58-jährige CDU-Politiker in seinem Amtszimmer im Rathaus von Gartow, einem niedlichen Bau aus Fachwerk und rotem Klinker. 134 Arbeitsplätze im Zwischenlager seien nicht zu verachten. Der CDU-Politiker ist 2001 im zweiten, 2006 im ersten Wahlgang mit satter Mehrheit gewählt worden. Ein Endlager sieht er allerdings skeptisch. „Solange die Erkundungen nicht abgeschlossen sind, wissen wir auch nicht, ob der Salzstock sicher ist“, sagt er. Ausschließen möchte Schröder den Standort aber nicht. Trotz der Divergenzen mit den Castorgegnern: „Auf’m Dorffest trinken wir natürlich auch mal ein Bier zusammen“, sagt er.
Solarpionier
Er hat die Unterlagen von damals aufgehoben. Joachim Noack, 65 Jahre alt, zieht seine Arbeitshandschuhe aus und holt einen Ordner. „Wussten Sie, dass Solarkraftwerke zwar Energie, aber keine Schadstoffe, Schwermetalle, radioaktive Abfälle et cetera erzeugen?“, schrieben er, der früher als Friseur arbeitete, und seine Mistreiter bereits vor 30 Jahren auf Informationsblätter – und wurden belächelt. Dabei hatte Noack bewiesen, dass Solarenergie funktioniert.
Schon Ende der siebziger Jahre baute er sich Solarzellen auf das Dach seiner Gaststätte, die zu einem Treffpunkt der Castorproteste werden sollte. Er produzierte mehr Strom, als er verbrauchte. Heute fühlt er sich bestätigt, weil es inzwischen völlig normal ist, mit Solarzellen Strom zu erzeugen, und fragt sich, warum das so lange gedauert hat. Den Fokus seines Geschäfts „Wendawatt“ hat er inzwischen etwas neu ausgerichtet: Joachim Noack verkauft jetzt vor allem Holzpelletsheizungen und -öfen. Die Technik der Kraft-Wärme-Kopplung kennt er schon lange, die hat er damals in seiner Gaststätte bereits angewendet.
Verkäufer
Das KdW liegt gegenüber der Polizeiwache in Dannenberg. 26 Künstler und Kunsthandwerker aus der Region betreiben das „Kaufhaus des Wendlands“ gemeinsam. Sie seien alle gegen den Castor, sagt Kerstin Rüter, 41, die heute hinter der Kasse steht. Das erkennt man auch an den Produkten. Es gibt „X-Bier-Senf“, davon wird ein Euro pro Glas an den Widerstand gespendet. Auch das „Salz für Gorleben“ unterstützt den Protest. Die Produzenten kämpfen dafür, im Salzstock fördern zu dürfen – als Alternative zum Atommüll.
Ein paar Meter vom KdW entfernt haben zwei Hamburgerinnen vor sechs Jahren das „Sprechzimmer“ eröffnet: ein Café, ein Atelier, ein Treffpunkt für den Wohlfühl-Widerstand. Und die beiden verkaufen auch ein paar Dinge – Notizbücher, Geschirr, Filztaschen. Sie legen Wert darauf, dass die Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt worden sind. Es gibt nur eine einzige Ausnahme: der Angela-Merkel-Kopf als Zitronenpresse aus Plastik. Den haben die zwei Hamburgerinnen wieder ins Programm aufgenommen. Die Nachfrage war einfach zu groß.
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