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Anonymer Feuerpudel

SLAMBei der Anonymen Lesebühne werden einmal im Monat an wechselnden Orten Texte vorgetragen, deren AutorInnen zunächst inkognito bleiben. So soll erreicht werden, dass die literarisch beste Geschichte gewinnt

Die Gewinne sind putzig. Hier zählt, wie so oft, allein das Dabeisein

von René Hamann

Die Geschichte ist alt und wird älter, doch der Poetry Slam stirbt nie. Man könnte analog zum Punk auch sagen: Poetry Slam’s not dead. Im Gegenteil, er wuchert weiter mächtig vor sich hin – als Basis für Stand-up-Komödianten, als Schule für scheiternde Schriftsteller*innen, als Zweitbühne für Seifenoperndarstellerinnen (ja, Julia Engelmann ist gemeint).

Inzwischen hat das große Genre auch schon mehrere Subgenres gebildet: Es gibt die Diary-Slams, wo aus alten Tagebüchern aus Teeniejahren vorgelesen wird, es gibt das Science-Slam, wo man Doktorarbeiten vorstellen kann oder das lustige, artverwandte Powerpoint-Karaoke, wo es darauf ankommt, spontane Vorträge zu arbiträr laufenden Bildpräsentationen zu erfinden – um nur ein paar zu nennen.

Und so gibt es auch den Feuerpudel, die „Anonyme Lesebühne mit Live-Illustrationen“. Und ja, eine Lesebühne ist wiederum was anderes als ein Poetry-Slam. Hierbei handelt es sich aber um eine neue Berliner Mischung, ein Zwitterwesen aus beider Welten: Es liest im „Feuerpudel“ nämlich nur einer vor, das ist der Macher und Moderator Alexander Lehnert, der seinem charmanten und stets ausgeruhten Bühnenego den Namen Diether Kabow gegeben hat. Dazu lädt er sich oft eine Illustratorin ein, die live zu den acht ausgelosten Geschichten zeichnet.

Die Geschichten aber, und das ist das vielleicht Wesentliche, stehen nicht nur in unmittelbarer Konkurrenz zueinander (am Ende entscheidet das Publikum über die Preisvergabe), sondern kommen von Autorinnen und Autoren, die sich während des Wettbewerbs nicht zeigen müssen. Meist verstecken sie sich im Publikum – incognito. Ihre Namen werden nicht genannt. So soll, das ist das Konzept, die wirklich stärkste und wirksamste Geschichte gewinnen. Es ist die Story, nicht der/die Autor*in! Erst, wenn der Preis dann eingetütet ist, kann sich die Autorin oder der Autor nach vorne ins Rampenlicht wagen. Schließlich ist sie oder er jetzt ein Gewinner.

Wie das funktioniert, kann man einmal monatlich an wechselnden Orten sehen. Der Feuerpudel ist nämlich ortsungebunden und reist gerne durch die Stadt. Ihm ist wichtig, dass er nicht nur in Szenevierteln in den üblichen paar Bars gesehen werden kann. So gab es schon Veranstaltungen in Charlottenburg oder Moabit. Am heutigen Donnerstag wird er in Weißensee zu Gast sein, in der Brotfabrik. Verglichen zum Beispiel mit der Neuköllner Kofferbar, wo er im Oktober stattfand, ist das ein echter Fortschritt: große Bühne, mehr Raum, mehr Zuschauerandrang. So steht es jedenfalls zu hoffen.

Ob dabei großer Fame für Macher und Gewinner abfällt, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Mitmachen kann jeder, die Branchengrößen lassen sich bei dem anonymen Wettlesen vielleicht nicht mehr unbedingt blicken. Auch sind die Gewinne eher putzig – meist gibt es neben den bunten Illustrationen noch irgendwelche schlimmen, aber neuen DVDs, Bücher oder Gutscheine. Hier zählt, wie so oft, allein das Dabeisein.

Das gilt am Ende auch für die Geschichten. Schön ist, schließt man von der Kofferbar-Runde aufs Ganze, dass es nicht immer die auf Pointe geschriebenen Storys sind, die zählen. Vorgelesen wird durchaus auch vermeintlich Peinliches aus der Tagebuchabteilung. Die gut gemeinte Erzählung aus dem Nachtleben, die klassische Lesebühnen-Alltagsirrsinns-Beschreibung und der erste schüchterne Versuch, später mal David Foster Wallace zu werden, sind natürlich auch dabei.

Der Altersdurchschnitt bei Bewerbern wie Publikum bewegt sich bei um die 30, es gibt oft und gern mehr Frauen als Männer im Auditorium. Lesebühnen und kleine, charmante Ableger wie dieser ziehen fast schon traditionsgemäß ein eher studentisches Publikum an, das mit einigen Spätinteressierten versetzt ist. Macht überhaupt nichts, die Atmo jedenfalls liegt meist zwischen gemütlich, behaglich, aufgeschlossen und euphorisch; auf den hinteren Plätzen schreiben Nachwuchsautorinnen bereits an neuen Geschichten, und vorne begeistern sich die Leute an den kleinen Gimmicks, für die Alexander Lehnert immer mal wieder sorgt: Wundertüten, Fanartikel, Tattoo-Stempel. Musik gibt es – zum Glück – nicht, man denke nur an den schrecklichen Saxofonjazz, den es gern bei Lyrikveranstaltungen gibt! Oder, Berliner Subkultur-Pendant, diesen merkwürdigen selbst gebastelten Folk von berufsjungen Duos, gespielt auf Kinderinstrumenten und mit Frauengesang. Und deutschen Texten.

All das gibt es beim Feuerpudel nicht. Es gibt auch keine Selbstdarsteller mit Pudelmütze oder beim Vortrag spuckende Eiferer mit Wortspieltiraden, bei denen sich Konrad Bayer im Grabe umdreht. Geraucht werden kann im Übrigen in der Pause.

Und was bedeutet das alles für die Literatur? Am Ende des Tages wahrscheinlich nicht allzu viel. Immerhin lässt sich hier schon mal überprüfen, ob der eigene Stil ankommt. Ob die Geschichte auch ohne Gesicht tragen kann. Man muss sich nur trauen. Natürlich hat eine lustige Story immer leichteres Spiel als der ernsthafte Versuch, etwas zur Gesellschaft, zu Gefühlen oder das große Weltgeschehen beizutragen – aber auch aus Kirsten Fuchs, Jochen Schmidt oder Uli Hannemann ist ja noch etwas geworden. Früh übt sich.

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