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Roberts Welt

ANFANGEN In seinem neuen Buch „Wer wagt, beginnt“ erklärt der Grüne Robert Habeck, wieso Tschernobyl ihn zum Politiker machte

„Scheitern ist immer eine Möglichkeit“

Robert Habeck

Robert Habeck wagt es. Aus norddeutscher Randlage heraus will er erst seine Partei, die Grünen, erneuern und dann gleich die ganze Republik. „Alle, die sich um ein politisches Amt bewerben, bewerben sich ja faktisch um das Mandat, die Wirklichkeit zu verändern“, schreibt Habeck in seinem im Herbst 2016 erschienenen Buch „Wer wagt, beginnt“, in dem er Politik, wie er sie sieht, begründet. Das hat sehr viel zu tun mit Tschernobyl und mit den deutsch-deutschen Wendejahren.

Als 1986 der Reaktor in der Ukraine explodierte, war der 16-jährige Robert Schüler in Kiel. Der GAU brach „wie ein endzeitliches Szenario“ über „den Lebenshunger“ des Teenagers herein. Und machte quasi über Nacht aus dem eher unpolitischen Jungen vom Ostseestrand einen Atomkraftgegner und einen politischen Menschen.

Während Habeck in den Wendejahren seinen Zivildienst beim Hamburger Spastikerverein ableistete, erfanden sich Deutschland, Europa und die Welt neu. Dieser Umbruch führte ihn zur Erkenntnis, dass es „keine philosophischen Weisheiten mehr gibt“, schreibt er. Diese Zeit sei „extrem unübersichtlich“ gewesen. Vielleicht hat Habeck, der Politiker, Philosoph und Schriftsteller, sich deshalb seinen distanzierten Blick bewahrt.

Während die Grünen sich für kraftvoll, dynamisch und innovativ halten, wirke seine Partei von außen betrachtet eher müde, ein wenig aus der Zeit gefallen und mit sich beschäftigt, formuliert Habeck den Widerspruch zwischen Selbstwahrnehmung und Image. Deshalb müssten die Grünen sich und ihre Politik ändern, ohne die Prinzipien der grünen Bewegung aufzugeben. Nach den Debakeln um Spritpreiserhöhung und Veggie-Day müssten Grüne lernen, dass „ein Vorschlag kein Vorschlaghammer sein“ dürfe.

„Es geht fraglos darum, anders und ressourcenärmer zu wirtschaften und eine klimafreundliche technische Entwicklung voranzubringen. Es geht nicht darum, gar nicht zu wirtschaften“, stellt er klar. Es gebe gutes und schlechtes Wirtschaftswachstum, deshalb sei gehe es um qualitatives Wachstum – nicht das Auto ist schlecht, sondern der Verbrennungsmotor. „Das Zurückdrängen zerstörerischer Prozesse nicht, weniger innovativ oder entwicklungsfreudiger zu werden.“

Und um das zu erreichen, müssten die Grünen ohne Erfolgsgarantie „mehr Mut zur Vision“ haben. „Scheitern ist immer eine Möglichkeit“, fügt er hinzu: „Aber so ist meine Welt.“ smv

Robert Habeck: „Wer wagt, beginnt. Die Politik und ich“. Kiepenheuer & Witsch, 14,99 Euro

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