Ungestörtes Quaken

Bioakustik Das Buch und die CD „Animal Music – Sound and Song in the Natural World“ untersuchen die klanglichen Wechselwirkungen von Mensch und Natur, die zuletzt immer größere Aufmerksamkeit erfahren

Eine Schar Stare, die im Gegenlicht der tief stehenden Sonne von einer Streuobstwiese startet Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

VON Andreas Hartmann

Man muss nur das Fenster öffnen, schon dringen die Klänge der Stadt oder des Landes ans Ohr. All der akustische Wirrwarr der Umwelt ist Musik, glaubt man dem US-Komponisten John Cage. Seine Ansichten wurden prägend für moderne Genres wie Ambient und die Arbeit von Musikern, die auf dem Gebiet der sogenannten field recordings tätig sind. Field recorders begeben sich in die Pampa und nehmen Geräusche oder Musik fremder Kulturen auf. Oder sie besuchen menschenleere Landstriche und lauschen den Gesängen der Natur. Das Knarzen eines Gletschers kann genauso zu musikalischem Material werden wie das Knarren von Latschenkiefern.

Was Tiere an Lauten von sich geben, haben Menschen schon immer in unterschiedlichen Formen adaptiert. Naturvölker etwa imitieren noch heute Tierlaute und der französische Komponist Olivier Messiaen hat in sein Werk musikalisch die Stimmen von 700 Vögeln verarbeitet. Musik der Tiere prägt die Kultur der Menschen und ist seit Längerem Forschungsgebiet im Grenzbereich zwischen Biologie, Musikwissenschaft, Ethnologie, Philosophie und Esoterik. „Zoomusicology“ wird diese Spartenwissenschaft genannt, oder auch „Bioakustik“.

Beheimatet ist sie bei den „Animal Studies“. In ihrem Geiste wurde das bislang nur auf Englisch vorliegende Buch „Animal Music – Sound and Song in the Natural World“ von Tobias Fischer und Lara Cory verortet. Darin ist ein für die „Animal Studies“ typisches Selbstverständnis zu erfahren: Menschen seien auch nur „menschliche Tiere“. Völlig selbstverständlich wird diskutiert, ob die Verwendung von Vogelstimmen für ein Musikstück legitim sei oder Ausbeutung von Tieren.

Sensibilität gegenüber der Natur führt aber auch zu einigen interessanten Fragestellungen. Der Gesang der Vögel ist für Menschen genau das: Gesang und damit nah an dem, was wir allgemein unter Musik verstehen. Wohingegen wir Schweinen, Pferden und Hunden nur ein Grunzen, Wiehern und Bellen zugestehen. Liegt das aber nicht vor allem daran, dass wir ein beschränktes, „menschliches“ Verständnis von Musik haben, also bestimmte Tierlaute einfach nicht als Musik begreifen können?

Auch der Sinn von Tiermusik wird hinterfragt. Hufgeklapper, Murmeltier-Gepfeife und Hirsch-Geächze habe im Normalfall das Ziel, sich gegenüber einem paarungswilligen Exemplar der eigenen Spezies möglichst attraktiv darzustellen oder um Territorien zu markieren, sagt die Biologie. Aber auch die ist sich nicht jeder Ursache bestimmter tierischer Laute sicher. Könnte es nicht sein, dass so mancher Vogel zu bestimmter Stunde tatsächlich nur auf seinem Ast sitzt und vor sich hin trällert, weil er einfach nur Bock am Musizieren hat?

Der Fundus an Tiermusik ist in den letzten Jahren immens gewachsen. Die Macaulay Library, das weltgrößte Archiv für aufgenommene Klänge von Tieren in den USA, verwahrt mehr als 140.000 Aufnahmen von 10.000 verschiedenen Tieren. Ob ostasiatische Elsterdohle oder Pilotwal, zig Spezies, über und auch unter Wasser, wurde bereits das Mikro vor Nase, Rüssel oder Schnauze gehalten. Aufnahmen von Tiermusiken sind gar eine eigenes Musikgenre. Bereits vor 80 Jahren erschienen Platten mit Vogelgesängen und in den Fünfzigern veröffentlichte das US-Label Smithsonian Folkways nicht nur Blues und Folk, sondern auch die Quaksammlung „Sounds of North American Frogs“.

Musik der Tiere prägt die Kultur der Menschen und ist seit Längerem Forschungsgebiet im Grenzbereich zwischen Biologie, Musikwissenschaft, Ethnologie, Philo­sophie und Esoterik

Das thailändische Elefanten­orchester bringt es inzwischen auf drei CDs. Früher war das Aufnehmen von Tierlauten ein aufwendiges Unterfangen, heute braucht man nicht viel mehr als neben einem Aufnahmegerät ein hochempfindliches Mikrofon, das man bloß in den nächsten Termitenhügel stecken braucht, um faszinierende Ameisensounds einzufangen. Es gibt sogar Stars wie Chris Watson, einst Gründungsmitglied der Sheffielder Industrial-Band Cabaret Voltaire, heute im Auftrag der englischen BBC weltweit unterwegs, um die Tierwelt aufzunehmen.

Weitgefächert ist das Angebot an Tiermusiken. Das Berliner Label Gruenrekorder, von dem eine CD dem Buch „Animal Music“ beiliegt, hat beispielsweise Platten veröffentlicht, die Walgesänge vor der Küste Norwegens kompilieren, aber auch Aufnahmen von Wasserflöhen im irischen Naturschutzgebiet Pollardstown Fen. Allein der Geräuschpegel eines Killerwals vor der Mahlzeit ist ein anderer als danach. Es ist auch nicht damit getan, einmal das Summen der Schwebfliege oder das Knattern von Krabben eingefangen zu haben. Schließlich geht man davon aus, dass Tiere ihre akustischen Signale der Umwelt anpassen und auf Veränderungen reagieren. Morgen klingt das Orchester der Waldameisen garantiert anders als heute.

Die Gegenwart des Menschen verändert die Musik der Tiere. Frösche reagieren extrem empfindlich auf Menschen, sie bleiben beim Quaken am liebsten nur unter sich, während Hauskatzen gelernt haben, mit ihrem Miauen den Menschen zu manipulieren. Aber umgekehrt gibt es auch Musik von Menschen speziell für Tiere. Der Klangkünstler Marek Brandt etwa hat einmal ein Stück für Milben verfasst. Was die sich dabei gedacht haben, ist leider nicht bekannt.

Tobias Fischer & Lara Cory: „Animal Music – Sound and Song in the Natural World“. Strange Attractor, London, 184 S., 15,99 £