Nicht nur bad news ist good news

Kommentar

von Stefan Alberti

Das schier Normale ist eben nicht selbstverständlich

Only bad news is good news – nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten (und, ja, das schreibt sich im Englischen im Singular): Dieses Motto prägt die Arbeit von Journalisten seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten. Dass ein Flugzeug sicher gelandet ist, interessiere niemanden, steht sinngemäß in Handbüchern fürs Journalistikstudium – bloß der Absturz oder die wundersame Landung, also das Besondere.

Dieses Jahr ist das anders. Der nebenstehende Text über ein vergleichsweise ruhiges Silvester hätte es früher kaum zum Aufmacher geschafft, also zum größten Text der Seite. Denn in früheren Jahren gab es noch kein Attentat auf dem Breitscheidplatz.

Es ist bislang glücklicherweise der einzige Anschlag. Aber seine Wirkung geht weit über die Toten und Verletzten des 19. Dezember hinaus. Er lässt einen unwillkürlich zucken, wenn es um die Teilnahme an einer Massenveranstaltung geht. Da mögen Wahrscheinlichkeitsrechnung dagegen sprechen: Der Gedanke an den 19. spielt einfach mit. Weil es hier war, bei uns, quasi vor der Haustür, unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Opfer – sonst hätte die Betroffenheit über den noch verheerenderen Anschlag in Bagdad an Silvester größer sein müssen.

Wenn es etwas zu lernen gibt aus dem 19. Dezember, dann vielleicht, jene vielen gar nicht so selbstverständlichen Dinge, die wir als normal betrachten, (wieder) mehr zu schätzen. Dankbar zu sein, wie schnell in Berlin meist Retter vor Ort sind, nicht nur am Breitscheidplatz. Auch mal zu relativieren, wie selten tatsächlich eine S-Bahn ausfällt angesichts der vielen tausend Fahrten täglich. Nicht immer nur die eine vielleicht vergessene Mülltonne zu sehen und deshalb über die BSR zu meckern, sondern auch mal die vielen anderen, die sie verlässlich leert.

Für solche Dinge dankbar zu sein und das auch auszusprechen, heißt nicht, auf Kritik zu verzichten, weil alles noch schlimmer kommen könnte. Aber das eine schließt das andere nicht aus.