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Ältere Frau liebt jüngeren Mann

NSA Zora del Buonos Novelle „Gotthard“ war super. In „Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt“ verschaltet sie jetzt eine Beziehung zwischen Student und Dozentin mit der Snowden-Affäre

Del Buono schildert diese Geschichte von mehr oder minder versteckter Zuneigung mit entwaffnender Beiläufigkeit

Eine deutschsprachige Autorin reist im Sommer 2013 nach Florida, um an einem College einen Deutschkurs zu geben. Da sie als Journalistin arbeitet, plant sie mit ihren Studenten eine Zeitung als Abschlussarbeit. Die Stimmung ist familiär, die Seminare sind klein. Mit den Kollegen teilt man sich WG-artige Unterbringungen, und auf dem Campus darf aus pädagogischen Gründen nur Deutsch mit den Kursteilnehmern gesprochen werden.

In die beschauliche Sommerakademie-Abgeschiedenheit bricht die Meldung der Enthüllungen Edward Snowdens. Einige Studenten zeigen sich verunsichert, wollen das Thema diskutieren, andere lehnen das Whistleblowing kategorisch als Verrat ab. Besonders ein junger Nerd, Zev, zeigt sich vom Thema stark aufgerüttelt, verteidigt Snowden am vehementesten, isoliert sich zunehmend von den anderen im Kurs. Die Dozentin hingegen ergreift diskret Position für Zev, trifft sich mehr und mehr außerhalb des Seminarraums mit ihm, nähert sich ihm an. Er erwidert ihr Interesse, irgendwann gestehen sie sich heimlich ihre gegenseitige Zuneigung.

Mit „Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt“ wagt sich Zora del Buono – die im vergangenen Jahr mit der hochverdichteten Novelle „Gotthard“ begeisterte und sich anschließend in dem „Leben der Mächtigen“ auf Reisen zu alten Bäumen rund um den Globus begab – für ihren jüngsten Roman an das in der Literatur eher unterrepräsentierte Sujet der Liebe zwischen jüngerem Mann und älterer Frau. Der Roman bricht damit eine Lanze für eine Art von Beziehungen, die gesellschaftlich bei Weitem nicht so selbstverständlich sind wie solche mit umgekehrtem Altersverhältnis.

Del Buono schildert diese Geschichte einer mehr oder minder versteckten Zuneigung mit entwaffnender Beiläufigkeit und im Stil eines Erfahrungsberichts, der umso präziser die Ambivalenzen nicht nur der Begegnung unter ungeklärten Vorzeichen, sondern auch die Nuancen im Alltag einer Summer School präzise einfängt. Und in ihrem Plädoyer für eine stärkere Akzeptanz der vorgestellten Beziehungsform gelingt ihr ein überraschender Dreh, weil sie bei ihrer Erzählerin zugleich Verständnis für die allgemein eher kritisch beäugten ­Liaisons alter Männer mit jungen Frauen durchblicken lässt.

Was del Buono an Genauigkeit im Umgang mit der libidinösen Ökonomie ihrer Protagonisten aufbietet, fehlt andererseits im zweiten Erzählstrang, den sie im Buch verfolgt, der Geschichte des NSA-Skandals. Im Stile kurzer Nachrichtenmeldungen setzt sie Markierungen für die Chronologie der Ereignisse, ansonsten erörtert sie die Fragen der Überwachung und der einsetzenden Paranoia auf dem Campus recht knapp und zum Teil fast stereotyp.

Zev nimmt dabei die Position des Verteidigers des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein, ohne dass die damit verbundenen Fragen über ein grundsätzliches Unbehagen und Angst vor der totalen Kontrolle im Internet hinausgingen. Hier hätte man die Debatte noch ausführlicher aufnehmen können. So entsteht der Eindruck, dass im Grunde alles schon klar und im Wesentlichen gesagt ist. Die Machenschaften der NSA geraten damit zusehends zum Vehikel für die Liebesgeschichte. Womöglich hätte es den geheimdienstlichen Strang dazu gar nicht gebraucht.

Tim Caspar Boehme

Zora del Buono: „Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt“. C. H. Beck Verlag, München 2016, 174 Seiten, 18,95 Euro

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