Keine Pasta, kein Panettone

Geschichten Aus und über Italien zur seligen Weihnachtszeit

Zum ersten Mal Weihnachten ohne die italienische Familie. Wir zählten die Lichterketten der Wall Street und verdrückten riesige Hamburger am Holztresen eines Cow-Girl-Restaurants. Wir rieben uns die Hände, dass wir dem großen Familienfressen mit anschließender Geschenkeschlacht entgangen waren. Keine Pasta und kein Panettone dieses Jahr!

Heute, am ersten Feiertag, würden alle bei Onkel Carlo und Tante Pia einlaufen. Onkel Carlo ist der Familienpatriarch. In den 60ern war er Maoist, dann hat er in einem Verlag gearbeitet. Dort ließ er Millionen Exemplare der italienischen Verfassung drucken, die er für die beste der Welt hält. Er hat uns allen schon mehrere Exemplare geschenkt.

Unter dem Lichterbaum schneidet er stundenlang Salami. Die Salamischeiben werden mit Käse und Oliven vor der Pasta, dem Braten, dem Fisch, dem Gemüse, den getrockneten Früchten und dem Panettone gegessen. Nach dem Essen holt Onkel Carlo die grüne Spieledecke und räumt Karten und Plastikchips für die Tombola auf den Tisch. Dies geschieht in diesem Moment in wahrscheinlich 80 Prozent der römischen Haushalte. Die Tombola ist ein Bingo-Spiel und Onkel Carlo ist ein leidenschaftlicher Croupier. Mit rotem Kopf verkauft er Karten und ruft Zahlen aus. Jedes Jahr gewinnen seine Söhne, die Cousins unserer Tochter. Sie will deshalb nicht mehr mit ihnen Weihnachten feiern.

An all das dachten wir, als wir in der Silvesternacht von New York nach Rom zurückflogen. Angekommen, öffneten wir den Briefkasten. Im Stapel lag ein Umschlag von Tante Pia. Es täte allen leid, dass wir nicht beisammen sein konnten, schrieb sie. Deshalb habe die Familie beschlossen, die Feier auf das Befana-Fest am 6. Januar zu verschieben.

Italienische Weihnachten. Die schönsten Geschichten, gesammelt von Klaus Wagenbach. Berlin 2016, 144 S., 17 Euro