OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Ein düsterer Film mit einem zwiespältigen Helden: In seiner Literaturverfilmung „The Pawnbroker“ (1964) bringt uns Regisseur Sidney Lumet das Schicksal Sol Nazermans (Rod Steiger) nahe, eines jüdischen Professors aus Leipzig, dessen Frau und Kinder im Konzentrationslager ermordet wurden. Fünfundzwanzig Jahre später betreibt er eine Pfandleihe in Spanish Harlem, wo er teilnahmslos und zynisch die Schicksale seiner unglücklichen Kunden an sich vorüberziehen lässt: ein Mann, für den die Menschheit nur noch aus Abschaum besteht. Doch trotz seiner scheinbaren Gefühllosigkeit wird Nazerman seiner schrecklichen Erinnerungen nicht Herr, die in Assoziationsmontagen mit der Gegenwartshandlung verflochten sind und die von lediglich unterbewusst als Störung wahrzunehmenden Einzelbildern bis hin zu längeren Sequenzen reichen, die sich immer stärker in Nazermans Bewusstsein drängen. Hinter seinem vergitterten Schalter steht er in dem düsteren und engen Universum der Pfandleihe wie in einem Gefängnis: Der Pfandleiher, der sich selbst einkerkert und alle Emotionen wegschließt, ist Rod Steigers vielleicht eindrucksvollste Leistung, für die er 1964 bei den Berliner Filmfestspielen einen Silbernen Bären erhielt. Auch die Außenwelt in Harlem zeigen Lumet und sein Kameramann Boris Kaufman als einen grimmigen und unbarmherzigen Ort, an dem selbst Sonnenschein nie freundlich wirkt. (OmU) 21. 11., Hackesche Höfe
Der 1992 entstandene Animationsfilm „Porco Rosso“ ist das wohl persönlichste Werk des japanischen Regisseurs Hayao Miyazaki: beileibe kein Film für Kinder, sondern melancholische Actionkomödie über die Probleme von Männern mittleren Alters am Beispiel des in ein Schwein verwandelten italienischen Fliegers Marco, der mit einem klapprigen roten Wasserflugzeug als Kopfgeldjäger an der Adria Piraten bekämpft. Viele von Miyazakis liebenswerten Obsessionen treten in dieser Geschichte besonders deutlich hervor: etwa die Begeisterung für obskure Flugmaschinen und europäische Landschaften, wie auch die Charakterisierung der Frauen- und Mädchenfiguren als starke und unabhängige Wesen. Diese werden in „Porco Rosso“ von Madame Gina, die Marco schon lange heimlich liebt, und von der jugendlichen Flugzeugkonstrukteurin Fio verkörpert, die mit ihrem Selbstbewusstsein die Macho-Attitüden des Fliegerhelden locker konterkarieren. (Om engl U) 22. 11., Zeughauskino
Ein Porträt der linksradikalen US-Untergrundorganisation „The Weathermen“ schufen Sam Green und Bill Siegel mit der Doku „The Weather Underground“ (2003): Seit Ende der 60er-Jahre verübte die aus weißen Studenten bestehende Gruppe Bombenattentate auf Ziele mit hoher Symbolkraft und achtete stets darauf, lediglich Sachschäden zu verursachen. Nach dem Ende des Vietnamkriegs versank sie in der Bedeutungslosigkeit. Der Film rollt den zeitgeschichtlichen Hintergrund auf und erläutert das Selbstverständnis der Gruppe zwischen politischem Anliegen und Radical Chic. (OmU) 25. 11., Z-inema LARS PENNING
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