Vereinigungsgedanken (Teil 9): „Der größere Partner trat dem kleineren bei“
Günter Landgraf, 57, Vizechef der Gartenfreunde in Treptow, hat sich 1990 für die Vereinigung der Kleingärtner engagiert
Vor 15 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt – so der offizielle Terminus. Viele jubelten, einige trauerten, und manche ängstigte, was aus diesem Land werden könnte. Die taz lässt rund um den 3. Oktober Menschen zu Wort kommen, die damals in Berlin waren und die Atmosphäre in der Stadt beschreiben.
„Die Tage nach der Öffnung haben viele von uns genutzt, um ehemalige Nachbarn und Kleingärtner im Grenzbereich zu besuchen. Der Mauerbau 1961 hatte ja gerade die Treptower Kleingärtner sehr hart getroffen. Über Nacht wurden hier ganze Anlagen liquidiert und fielen der Grenzsicherung zum Opfer. Allein bis 1965 waren das über 600 Parzellen. Die Anlagen im 100 Meter breiten Schutzstreifen konnte man nur mit Passierschein betreten. Es gingen viele Freundschaften mit Nachbarn in die Brüche – aber auch mit Westberlinern. Fast die Hälfte der Kleingärtner kam ja aus dem Westteil, die konnten über Nacht nicht mehr in ihren Garten.
Als sie nach dem Mauerfall ihre alten Gärten besuchten, waren sie vor allem neugierig, was aus ihren Parzellen geworden war. Erstaunlicherweise erhob keiner Anspruch auf Rückgabe. Da gab es natürlich viele Ängste auf Seiten ostdeutscher Gartenpächter. Überhaupt war ja nicht klar, was mit der Kleingartenbewegung insgesamt passiert. Es überwog aber deutlich die Freude. Auch fanden erste Begegnungen zwischen den Vorständen einzelner Anlagen aus dem Ost- und Westteil statt. Bei den Gesprächen wurde schnell deutlich, dass sich das Kleingartenwesen zwischen Ost und West kaum unterschied. Wir haben bereits im November 89 über die Vereinigung der verschiedenen Organisationen geredet – lange bevor die Wiedervereinigung beschlossen wurde. Der tatsächliche Beitritt der Ostberliner Bezirksverbände zum Landesverband West zog sich dann allerdings bis Anfang 1991, weil aus rechtlichen Gründen zuerst die staatliche Einheit hergestellt werden musste. Im Wesentlichen blieben die Kleingartenanlagen so erhalten wie vor der Wende.
Da trat ganz klar der größere Partner dem kleineren bei. Der Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter, wie das bei uns in der DDR hieß, war ja eine Massenorganisation. Er hatte über eine Million Mitglieder. Wir wurden aber gleich behandelt. Ein anderes Ding war aber, dass mit dem Inkrafttreten des Vereinigungsvertrages auch das westdeutsche Bundeskleingartengesetz für uns galt. Das kannten wir nicht. Darin steht zum Beispiel, dass nur eine 24 Quadratmeter große Laube in einfacher Ausführung erlaubt ist. Viele von uns hatten aber wesentlich größere Bungalows gebaut. Glücklicherweise genossen die aber Bestandsschutz.
In den DDR-Richtlinien stand aber zum Beispiel auch, dass pro 100 Quadratmeter Garten 100 Kilo Obst und Gemüse erbracht werden mussten. Viele haben schwere Sachen wie Kürbisse angebaut, um das zu erfüllen. Es fanden richtige Wettbewerbe und eine halbjährige Abrechnung mit ökonomischen Kennziffern statt. Heute baut man freiwillig an. Ich glaube nicht, dass es Kleingärtner gibt, die sich die alten Verhältnisse herbeisehnen. Die DDR war ein historischer Abschnitt, der mit dem 3. Oktober sein Ende genommen hat.
Es gab viel Gutes im ostdeutschen Kleingartenwesen, die Feiern, der Zusammenhalt, die Kinderfeste. Heute ist das Durchschnittsalter in vielen unserer 90 Treptower Anlagen über 60 Jahre. Da wird nicht mehr so gefeiert. Auch sind viele Versprechen der Vereinigung natürlich eine Illusion gewesen. Aber die blühenden Landschaften schaffen wir uns hier ja selber. Alles in allem sehe ich die Wende als eine Bereicherung in meinem Leben.“
PROTOKOLL: TINA HÜTTL
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