piwik no script img

Den Originalen täuschend ähnlich

Vegan Die Stadt ist voller veganer Restaurants, Supermärkte und Imbissbuden. Doch der pflanzliche Fleischersatz ist nicht unumstritten. Vor allem bei den Namen gibt es Probleme

Jaap Korteweg ist Landwirt in neunter Generation und Gründer der niederländischen Marke „Der Vegetarische Metzger“: Geschlachtet wird hier nichts, höchstens Gemüse Foto: Bart Homburg

von Jana Tashina Wörrle

Sie liegen in der Fleischtheke und tun so als ob. Hinter ihnen ein Wurstmesser und eine typische Fleischerwaage, die das Licht der Scheinwerfer an der Decke reflektiert. Vegane Lyoner und Geflügelleberwurst ohne tierische Zutaten: Ginge es nach dem Deutschen Fleischerverband (DFV), dürfte es sie nicht geben – zumindest nicht unter diesen Namen. In Kreuzberg liegen sie dennoch in Reih und Glied hinter Glas und warten beim „Vegetarischen Metzger“ auf Käufer.

Der Laden ist neu und noch scheinen die Kunden den Gründern Florian Tenfelde, Martin Koltermann und David Meyer nicht die Bude einzurennen. Hin und wieder geht die Tür auf, jemand kommt herein und schaut sich interessiert die Auslage und die großen Kühlschränke an, hinter deren Glastüren Pappschachteln stehen – Kartons mit abgepackter Wurst und Geschnetzeltem, mit Speck und Frikadellen.

Doch auch wenn sie so heißen und auch wenn es aus der Küche im hinteren Teil des Ladens so duftet, als wäre man an einem „normalen“ Imbissstand, sind Wurst und Fleisch hier nur aus Soja und Lupinen. Alles vegetarisch und vieles sogar vegan.

Der Vegetarische Metzger hat im September in der Bergmannstraße eröffnet. Tenfelde und seine Mitstreiter bieten hier als exklusive Vertriebspartner die Fleischersatzprodukte der niederländischen Marke „De Vegetarische Slager“ an, zum Mitnehmen und frisch zubereitet als Imbiss.

Damit wollen sie einerseits den Trend zum vegetarischen und veganen Essen bedienen und andererseits auch denjenigen, die einfach weniger tierische Produkte essen wollen, etwas bieten. Sie sollen nicht spüren beziehungsweise schmecken, dass sie auf etwas verzichten. „Und dennoch wollen sie etwas gegen die Massentierhaltung tun und haben sich meist aus ethischen Gründen entschieden, nichts Tierisches mehr essen zu wollen“, sagt Florian Tenfelde.

Eben ohne Tier

Die Produkte aus den pflanzlichen Eiweißquellen sind den Originalen täuschend ähnlich – nur eben ohne Tier. Wichtig sind deshalb auch die Namen, die sich direkt an den Originalen orientieren. Einziger Unterschied: der Zusatz „vegan“ oder „vegetarisch“ muss deutlich sichtbar auf der Packung stehen. So ist einer Verbrauchertäuschung vorgebeugt. Zumindest sieht das die EU-Kommission derzeit so.

Der Fleischerverband ist anderer Meinung und bekommt Unterstützung von der Politik. Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD fordern mehr Klarheit für die Kennzeichnung von veganen und vegetarischen Lebensmitteln.

So steht derzeit in Frage, ob Wurst, Schnitzel, Salami und Co. – wenn sie denn so heißen –, nur aus Fleisch hergestellt sein dürfen. Dem Fleischerverband geht es um einen fairen Wettbewerb. Gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband hat er deshalb im März 2016 einen Antrag bei der Deutschen Lebensmittelbuchkommission gestellt und möchte, dass für die veganen und vegetarischen Erzeugnisse keine Bezeichnungen mehr verwendet werden dürfen, unter denen Fleischerzeugnisse bereits bekannt sind.

Mit vielen Vorgaben

„Diejenigen, die Produkte verkaufen, die Fleisch enthalten, müssen sehr viele Vorgaben erfüllen“, sagt Gero Jentzsch, Sprecher des DFV. Er beklagt, dass dies nicht für diejenigen gelte, die beispielsweise ein Schnitzel verkaufen, das statt Fleisch teilweise künstliche Ersatzstoffe enthält. Und damit weist Jentzsch zugleich auf die nächste Kritik hin: die Inhaltsstoffe vieler vegetarischer oder veganer Würste, Steaks und von Gehacktem.

In einer aktuellen Mitteilung zitiert der Verband eine Untersuchung der Zeitschrift ÖKO-Test, die knapp die Hälfte aller getesteten Fleischersatzprodukte mit „mangelhaft“ oder „ungenügend“ bezeichnet hat, weil darin viele Aromen, Geschmacksverstärker, Verdickungsmittel und Farbstoffe gefunden wurden. Das Ziel laut DFV: „Wasser und Pflanzeneiweiß in eine schnittfeste Masse zu verwandeln und auf ‚Wurstoptik‘ zu trimmen.“

Diese Vorwürfe wehrt der vegetarische Metzger Tenfelde klar ab – zumindest für seine Produkte. Zwar seien auch hier mehr Lebensmitteltechniker als handarbeitende Metzger am Werk gewesen. Um zu beweisen, dass der „Vegetarische Metzger“ nicht hauptsächlich Zusatzstoffe verkauft, liest er die Zutatenliste des Hühnergeschnetzelten vor.

Es bleiben Imitate

Diese fleischlose Geflügelalternative besteht zu 93 Prozent aus Sojastruktur, welches Wasser, Sojaproteinkonzentrat und Salz beinhaltet sowie Sonnenblumenöl und Aromen: „Lange wird an Rezepten gefeilt und erst, wenn sie wirklich nah an den Originalen sind, kommen sie auf den Markt. Und da wir wissen, dass unsere Kunden Wert auf das legen, was drin ist, kommen kritische Stoffe auch nicht hinein“, sagt Tenfelde. Er muss allerdings zugeben, dass es sich trotz aller täuschenden Echtheit um Imitate handelt und dass viele Arbeitsschritte für ihre Herstellung nötig sind.

Auch der Vegetarierbund (VEBU) versteht die Vorwürfe des Fleischerverbands so gar nicht. Dass Schnitzel, Salami oder Lyoner auch als Varianten ohne tierische Zutaten erhältlich sind, sei ganz bewusst so gemacht. „So können diejenigen, die kein Fleisch und keine Wurst mehr essen wollen, Ernährungsgewohnheiten trotzdem beibehalten“, sagt Till Strecker vom VEBU. Er geht davon aus, dass es genau dadurch immer mehr Vegetarier und Veganer gibt. Verzicht sei nicht mehr nötig.

Trendiges Futter

Die Zahl der Veganer lässt sich nur schätzen, da sich Ernährungstrends schnell ändern. Der Vegetarierbund Deutschland (Vebu) hat verschiedene Studien zusammengetragen und kommt zu dem Ergebnis, dass es im Jahr 2015 circa 7,8 Millionen Vegetarier (rund 10 Prozent der Bevölkerung) und 900.000 Veganer (1,1 Prozent) in Deutschland gab. Tendenz steigend.

Und so verdienen auch die Hersteller von vegetarischen und veganen Lebensmitteln immer mehr. Laut Vebu verzeichnen Fleischalternativen seit 2008 ein stetiges Umsatzplus von durchschnittlich etwa 30 Prozent im Jahr. 2015 betrug der Umsatz des Lebensmittelhandels bei vegetarisch-veganen Wurst- und Fleischalternativen laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen über 150 Millionen Euro und damit doppelt so viel wie noch ein Jahr zuvor.

Der Trend zeigt sich ebenso in der Gastronomie – vor allem in Berlin. So stieg hier die Anzahl der veganen Restaurants von 12 im Jahr 2011 auf 43 (Stand Mai 2016). (jtw)

Bei „Schnitzel“ ist alles klar

Und auch beim Einkauf gibt es für die Hersteller weniger zu erklären. Wer etwa das Wort „Schnitzel“ liest, weiß meist sofort, was er erwarten kann in Bezug auf Form, Aussehen und Konsistenz, er weiß, wie er ein Schnitzel zubereiten kann und dass es keine Süßspeise, sondern eine deftige Mahlzeit darstellt. Ob dieses Schnitzel nun tierisch ist oder pflanzlich, macht an dieser Stelle keinen Unterschied. Der Zusatz „vegetarisch“ oder „vegan“ auf der Verpackung genügt derzeit, damit alles im Klaren ist. Laut VEBU sollte das auch so bleiben.

Fabian Steinecke ist Sprecher der veganen Supermarktkette Veganz, die eigene vegane Produkte auf den Markt gebracht hat – darunter Fleischersatzprodukte mit Namen, die sich bewusst an denen der fleischlichen Originale anlehnen. Er erkennt darin vor allem eine Erleichterung für diejenigen, die sich noch in der „Umstellungsphase“ befinden oder sich bisher nur für vegane Produkte interessieren.

Warum nicht „Bratstücke“?

Denn nur gut die Hälfte der Veganz-Kunden lebt wirklich vegan. Knapp ein Drittel ernährt sich vegetarisch und 17 Prozent ist einfach nur interessiert beziehungsweise isst auch Fleisch. Sie allen leben den aktuellem Trend des Veganseins – fast ein Muss im Jahr 2016 in Berlin. „Wahrscheinlich wird dieser ganz extreme Boom, wie wir ihn gerade beobachten, wieder etwas abflachen. Doch wir gehen davon aus, dass die Entwicklung hin zu einer eher vegan/vegetarischen Ernährungsweise unumkehrbar ist und weitergehen wird“, sagt Steinecke.

Dem Trend verwehren sich auch die deutschen Metzger nicht. So gibt es laut Fleischerverband auch immer mehr Handwerksmetzger, die vegane und vegetarische Alternativen mit im Angebot haben – vor allem beim Catering und an den Imbissständen. Als Namensvorschlag für die Fleischalternativen nennt der DFV übrigens ganz einfach „Bratstücke“.

An der Würstchenausgabe vom Vegetarischen Metzger in Kreuzberg wirkt alles recht clean und aufgeräumt für einen Imbissstand. Man hört nichts brutzeln und sieht kein Fett spritzen. Es duftet dennoch recht überzeugend. In einem Blindtest könnte man wohl auch viele Fleischesser täuschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen