Linksliberales Freiburg: Eine Stadt zeigt Haltung
Jüngst wurde bekannt, dass wohl ein Flüchtling die Studentin Maria L. getötet hat. Ein Bericht aus einer Stadt, in der Debatten anders laufen.
Das Herz hing dort schon, bevor vergangenen Samstag bekannt wurde, dass der Täter nach Lage der Dinge wohl ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ist. Seitdem diskutiert die Republik auf allen Kanälen die Frage: Wenn so etwas selbst im grün regierten irgendwie links-liberalen Freiburg passieren kann, ist dann die Willkommenskultur nicht endgültig am Ende?
Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon muss seitdem überall erklären, dass seine Stadt zwar umweltfreundlich und weltoffen ist, aber deshalb noch lange kein entrücktes „Bullerbü“, das frei ist von Kriminalität und sozialen Härten. Und er erinnert daran, dass Kapitalverbrechen nichts mit unterschiedlichen Kulturen zu tun haben.
„Mord ist in allen Kulturen ein Verbrechen.“ Selbst die Kanzlerin und ihr Vize fühlen sich genötigt, sich zum Fall Maria L. zu äußern.
Pfefferspray als ständiger Begleiter
„Das ist doch verrückt, dass das jetzt so groß wird“, sagt Sarah. Die Medizinstudentin hat in jener Oktobernacht eine Freundin verloren. Nun sitzt sie in ihrem Studentenapartment zwischen Anatomiebüchern und versucht sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Es sei doch schrecklich, dass der Mord an Maria jetzt auch noch in die Stromschnellen der Politik gerät. „Wir wollen nicht, dass die AfD versucht, ihren Tod zu missbrauchen.“
Sarah heißt in Wirklichkeit anders. Doch seit selbst Marias Familie kübelweise mit Beleidigungen behelligt wird, will sie nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Seit Maria L. tot ist, ist Pfefferspray für Sarah wie für ihre Freundinnen zum ständigen Begleiter geworden. Auch der zweite Frauenmord im nahen Endingen hat sie zusätzlich verunsichert.
Alexander Gauland galt als kluger Konservativer, mit dem Linke gern debattierten. Nun dirigiert er die AfD immer weiter nach rechts – und will so in den Bundestag. Warum er sich so entwickelt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Dezember 2016. Außerdem: In der deutschen Hackerszene tobt ein Kampf um Sex, Moral und Macht. Ein Netz-Krimi. Und: Eine Begegnung mit der marokkanisch-französischen Autorin Saphia Azzeddine. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Das Bild vom freundlichen Freiburg, in dem man sich auch als Mädchen frei bewegen kann, sagt Sarah, hat bei ihr einen Knacks bekommen. Dass sie nun weiß, dass der Täter ein Flüchtling ist, spielt dabei keine Rolle. Sarah zuckt mit den Schultern: „Ich hatte gehofft, dass es nicht so ist, aber für mein Sicherheitsgefühl ändert das nichts.“
Mag sein, dass in den Zügen ins Umland und in den Leserbriefspalten auch anders geredet wird, doch die Haltung der jungen Frau herrscht im öffentlichen Freiburg vor. Bei einem Treffen von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern am Dienstagabend sei man sich einig gewesen, „jetzt erst recht“, berichtet ein Teilnehmer.
„Linksgrün-versifft“ ist besser gewappnet?
Als die AfD am vergangenen Sonntag versuchte, sich des Thema zu bemächtigen und zu einer Demonstration auf dem Münsterplatz aufrief, erschienen gerade einmal 15 ihrer Anhänger. Sie standen 300 Gegendemonstranten gegenüber, darunter viele Freunde Marias. Und der grüne Oberbürgermeister Salomon bekommt selbst vom linken Radio Dreyeckland Lob für seine abgewogenen Statements.
Nach einer Woche bundesweiter Debatte könnte man die bösen Worte des AfD-Vorsitzenden Meuthen aufgreifen und sagen, dass eine so nachhaltig „linksgrün-versiffte“ Stadt vielleicht besser gewappnet ist für solche Krisen. In einer Stadt der Fahrradanhänger und Frauenparkplätze, als die sie oft belächelt wird, haben es die Bürger vielleicht leichter, Haltung zu zeigen, weil man hier schon vorher wusste, wo man steht.
Als zum Beispiel Pegida 2015 anderswo auf ihren Höhepunkt zu treibt, gehen in Freiburg 15.000 Bürger einfach so für ein „Buntes Freiburg“ auf die Straße. Ganz ohne Pegida.
Aber deckt dieses milde Klima der Political Correctness, nicht auch Konflikte zu? Vor zwei Jahren, als ein Familienvater beim Pizzaholen niedergeschlagen wird, schrieb die Lokalredaktion der Badischen Zeitung erstmals über Raubüberfälle von marokkanischen Jugendlichen auf dem Stühlinger Kirchplatz, wo seit 30 Jahren Drogen verkauft werden.
Orientierungsphase der öffentlichen Debatte
Die Polizei hatte sich schwergetan, die Täter beim Namen zu nennen, denn es waren unbegleitete jugendliche Flüchtlinge. Damals habe er Demonstrationen vor der Redaktion gehabt, erinnert sich ein Redakteur, man habe ihnen Rassismus vorgeworfen.
„Ja, schon damals hatten wir unsere ‚umA‘-Diskussion“, sagt Gerhard Frey, Chef der legendären Buchhandlung JosFritz und Stadtrat der Grünen. „umA“ steht für „unbegleitete minderjährige Ausländer“.
Frey steht zwischen den Buchregalen und zieht bei dem Thema die Luft laut durch die Zähne. Das sei eine Art Orientierungsphase der öffentlichen Debatte gewesen. Politiker wie die Polizei seien damals noch unsicher gewesen, wie man verantwortungsvoll mit solchen Informationen umgeht.
Sarah, Freundin von Maria
Heute findet sich der „Täter südländischen Typs“ in den Polizei-Pressemitteilungen, und die Zeitung schreibt offen davon, dass inzwischen Gambier den Haschischhandel im Stühlinger übernommen haben, jedoch nicht gewalttätig sind. Vielleicht hat diese Debatte vor zwei Jahren auch dazu geführt, dass die Polizei jetzt ganz offen über die Herkunft des Täters reden kann.
Schwer tat sich Freiburg auch, als bekannt wurde, dass der Club White Rabbit, der als links gilt, keine Flüchtlinge mehr einlässt, weil sich weibliche Besucher belästigt fühlen.
Probleme wie jede Stadt dieser Größe
Ein solches Verbot verstieß gegen geltendes Recht, wie der Oberbürgermeister damals zu Recht bemerkte. Die Freiburger Lösung war, dass die Freiburger Clubs nun gemeinsame Hausverbote aussprechen, wenn jemand auffällig wird. Seitdem gab es gerade einmal zwei Fälle.
Es gibt andere Vorkommnisse, die nicht in das Bild vom liberalen Freiburg passen. Angriffe gegen Schwule nachts auf offener Straße oder erst kürzlich der Tod eines Obdachlosen, der offenbar von Passanten angegriffen wurde, weil er gegen eine Kirchenwand urinierte.
„Wir haben Probleme wie andere Städte von unserer Größe auch“, sagt Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach. Kirchbach residiert in dem Renaissance-Rathaus in der Altstadt. Im Vorzimmer brennen zwei Kerzen am Adventskranz, vor der Haustür rummelt der Weihnachtsmarkt.
Freiburg führt im Land die Kriminalstatistik an, da ist aber viele Kleinkriminalität dabei, auch Fahrraddiebstahl oder Schwarzfahren. Die Stadt liegt nahe an zwei Grenzen, die Innenstadt ist die Partymeile für den gesamten südlichen Schwarzwald. Das bringt auch Gewaltprobleme unter Jugendlichen mit sich.
Nein, sagt der Sozialbürgermeister, in dieser Stadt gebe es keine „No-go-Areas“, weder im Stadtteil Stühlinger noch im sogenannten Bermudadreieck, wo die meisten Clubs liegen.
Das richtige Maß zwischen Freiheit und Sicherheit
Jetzt hat der Justizminister in Stuttgart angekündigt, das Jugendstrafrecht, das beim mutmaßlichen Mörder von Maria L. greift, neu zu justieren. Und Polizeigewerkschafter Wendt glaubt, die Polizei könne solche Gewalttaten verhindern, wenn die Politik sie besser auf den Flüchtlingsstrom vorbereitet hätte.
Kirchbach wiegt den Kopf, wenn er sich das anhört. Man müsse doch immer das rechte Maß zwischen Freiheit und Sicherheit suchen, findet der Sozialdemokrat. Er ist froh, dass das Land ihnen endlich mehr Polizisten bewilligt hat. Doch auch die könnten nicht jede junge Frau nach Hause begleiten.
Damit das Unsicherheitsgefühl nachlässt, wird wohl im Stadtrat neu über die Beleuchtung in der Stadt diskutiert. Und es gibt Stimmen, die das Sammeltaxi speziell für Frauen wieder einführen wollen. Keine harten Maßnahmen, Antworten mit Augenmaß. Freiburger Lösungen eben. Alles andere würde auch nicht zu dieser Stadt passen.
Mitarbeit: David Joram
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