So viel Kritik muss sein: Jens Fischer über „Die Sprache des Wassers“: Bescheiden triumphierende Emanzipation
Vor Angst erstarrt wird ins Theater gelugt – der geöffnete Türspalt aber schnell wieder geschlossen. Doch der Mut siegt: Mit einem zarten, stampfen wollenden Schleichen kommt sie auf die Moks-Bühne: Kasienka, fast 13 Jahre alt. Und doch wird sie in die Klasse der 11-Jährigen gesteckt. Weil sie Polin ist – mit noch stockendem Englisch. Erst kürzlich ist sie mit ihrer Mutter von Danzig nach Großbritannien übergesiedelt. Wie es sich anfühlt, als Migrantin mit der Ablehnung der Einheimischen kämpfen zu müssen, macht Meret Mundwilers Kasienka sofort deutlich – in aller Ambivalenz.
Sie will ihren Vater finden, der irgendwo in London eine neue Familie gegründet hat, und sie will ankommen, auch bei sich. Einerseits wird ihr Körper, ihr Fühlen und Denken von den Zumutungen der Pubertät heimgesucht, andererseits ist ihr Alltag von der Abwesenheit des Vaters, einer wahnhaften Mutter, Armut und Mobbing bestimmt.
„Ich weiß nicht mal, was ich falsch gemacht habe“, sagt Kasienka. Wie auch – die anderen machen ja etwas falsch. Sie nehmen sie als Außenseiter-Opfer, weil sie weder ein Handy besitzt noch die aktuelle Mode trägt. Aber sie kann schneller als alle anderen schwimmen. Autorin Sarah Crossan hat ihr dafür den schönen Satz formuliert: „Das Wasser ist eine eigene Welt, ein Land mit seiner eigenen Sprache, und ich spreche sie fließend.“
Der Versroman „Die Sprache des Wassers“ funktioniert prächtig im Moks. Denn für den aus der Ich-Perspektive erzählten Monolog hat Kasienka zwei Dialogpartner mitgebracht, die auch all die darin auftauchenden Charaktere darstellen, auf einer zunehmend von hoffnungsprallen Ballons geschmückten Bühne. Hinreißend, wie das Schauspielertrio Raucherecke spielt, die erste Fluppe ansteckt, „als ob man Dreck einatmet“, und vergeblich den Mund zum Kuss öffnet. Es gibt da nämlich William, der bereits Fixpunkt einiger Mädchenfantasien ist, aber auch Kasienkas einzig liebevoller Mitschüler. „William zu küssen ist wie Gummibärchen zu lutschen“, sagt Kasienka.
Geradezu taufrisch altmeisterlich inszeniert Theresa Welge das Gefühlsgewirr. Schon mit „Das große Heft“ im kargen Brauhauskeller-Setting und „Nationalstraße“ in einer Blumenthaler Kneipe gelangen ihr intensiv ausgeleuchtete Schauspielabende. Nun macht sie dort bescheiden triumphierend weiter. Ideal für die Emanzipation Kasienkas.
Bis 28.11.: täglich um 10.30 Uhr; 30.11 und 1.12.: 10.30 Uhr, Moks am Theater am Goetheplatz
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