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Das Scheitern der Willkür

Ahrendt-preis

Hannah Arendt, die jüdische Intellektuelle, war eine mutige Denkerin mitten in einem Jahrhundert von Diktatur und totalitärer Herrschaft. Am kommenden Freitag wird mit Christian Teichmann ein junger Historiker in Bremen den Hannah-­Arendt-Preis für politisches Denken“ erhalten, der ihrem Blick auf totalitäre Herrschaft widerspricht.

Arendt hatte erklärt, das totalitäre Regime sei keine Willkürherrschaft, weil der Terror ideologisch geleitet und koordiniert sei. Teichmann hat sich mit Lenins und Stalins Politik gegenüber den asiatischen Regionen befasst, die als Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan dem sowjetischen Imperium einverleibt werden sollten, und diese Politik war mindestens so stark von Willkür gekennzeichnet wie von ideologischen Leitlinien.

Wo im Parteiprogramm der Bolschewiki etwas vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen stand, praktizierten die Revolutionäre eine imperiale Unterwerfungsstrategie in der Kontinuität des Zaren. Vor allem große Bewässerungsprojekte sollten die Region zu einem noch größeren Zentrum der Baumwollproduktion für das Sowjetreich machen. Künstliche Bewässerung sollte das Instrument zentralstaatlicher Herrschaft werden. Aber schon damals blühten Korruption und Eigeninteressen unter einer nackten, weitgehend legitimationsfreien Willkür-Herrschaft.

Der Stalin’sche Terror war laut der Analyse Teichmanns als Herrschaftstechnik der Rücksichtslosigkeit auch verantwortlich für das Scheitern der Kolonisierung. Die „Macht der Unordnung“, so Teichmanns Titel, war ein Instrument der Herrschaftssicherung, aber die wirtschaftspolitischen Ziele hätten geordnete Verwaltung erfordert.

Und einen gewissen Respekt vor den Traditionen des asiatischen Südens des Sowjetreiches, in dem der Islam verwurzelt ist. Die Politik der sowjetischen Revolutionäre, die ihre Macht im Süden bis an die Grenzen des britischen Kolonialreiches ausdehnen wollten, scheiterte schließlich im Afghanistan-Krieg 1979–1989. KaWe

Preisverleihung: 2. Dezember, 18 Uhr, Rathaus Bremen

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