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„Die Opposition in Weißrussland hat gelernt“

Die traditionell zerstrittenen weißrussischen Demokraten haben sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2006 Jahr geeinigt. Der könnte dem Autokraten Lukaschenko diesmal gefährlich werden

taz: In Weißrussland haben sich vier wichtige und sehr unterschiedliche Oppositionsparteien auf einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen geeinigt. Wird das Bündnis bis zu den Wahlen 2006 halten?

Gennadij Gruschewoj: Der Kongress vom vergangenen Wochenende war extrem wichtig. Seit 2001 hatte sich die Opposition kein einziges Mal versammelt. Das war der erste Versuch seit langem – und er ist gelungen. Aber zwei bis drei wichtige Gruppen sind noch nicht eingebunden. Es kommt darauf an, dass der jetzt gefundene Kandidat und das Führungspersonal der anderen Parteien ernsthaft verhandeln und ihre Kräfte bündeln. Es ist wichtig, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die belarussischen Demokraten gemeinsam vorgehen. Dann hat Weißrussland sehr gute Chancen auf einen neuen Präsidenten.

Die Menschen hier verdienen zwar wenig, doch können sie sich auf Löhne und Rentenzahlungen verlassen. Diese Sicherheit kann Präsident Lukaschenko nur dank russischer Hilfe gewähren. Wird ein neuer Präsident etwa auf günstige Gas- und Öllieferungen verzichten können?

Nein, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu Russland bleiben auch bei einem neuen Präsidenten bestehen. Weißrussland wird mindestens vier bis sechs Jahre noch extrem enge Bindungen an Russland haben.

Wird Wladimir Putin nicht im Gegenzug verhindern, dass sich Weißrussland demokratisiert und nach Westen orientiert?

Russland hat kein Interesse daran, die stabilen wirtschaftlichen Bindungen zu zerstören. Außerdem wird der Dialog zwischen den demokratischen Kräften und dem Kreml in vier bis fünf Monaten aktiviert sein. Schon heute gibt es Kontakte, aber sie sind noch sehr informell und privat. Bald aber wird es ernsthafte Gespräche zwischen uns und dem Kreml geben.

Die Opposition war beim letzten Mal u. a. so schwach, weil der Kandidat im Hinterzimmer ausgekungelt wurde …

Ich denke, heute ist unsere Ausgangssituation besser als bei den letzten Wahlen. Wir haben negative Erfahrungen gemacht und daraus gelernt.

Lukaschenko ist im Fernsehen allzeit präsent – die Opposition taucht kaum auf, die meisten Zeitungen berichten nicht frei. Wie kann die Opposition sich darstellen?

Das ist ein Problem. Aber ich denke, vieles wird durch Mundpropaganda möglich sein. Mein Netzwerk der „Kinder von Tschernobyl“-Stiftung wirkt zum Beispiel in verschiedenen Regionen im Land. Wenn ich meine Vertreter mit vollen Informationen über unseren Kandidaten dorthin schicke, dann kann allein ich mehrere zehntausend Leute in der Provinz informieren – nur ich persönlich. Wir haben nur diese Möglichkeit. Medien wie die Deutsche Welle oder Euro News werden eine sehr kleine Rolle spielen.

Die Opposition scheint überwiegend eine Sache älterer Männer zu sein. Wo ist die Jugend?

Sehr große Teile der Jugend sind eher passiv. Innerhalb des engen politischen Rahmens haben sie fast alles, was sie wollen: Bier, Disko, Internet. Es gibt wenige mit politischen Visionen, das ist ein Problem. Aber die Älteren, die arbeiten und so mit der Realität in Kontakt sind, die stehen größtenteils hinter unseren Vorstellungen.

Was werden die wichtigen Themen der Wahl sein?

Lukaschenko hat keine Ideen, Konzepte, seit zehn Jahren nicht. Er kennt nur zwei Farben: schwarz und weiß. Uns geht es vor allem um eine Verbesserung der Lebensqualität.

Was heißt das?

Die Beziehungen zur EU, zu Polen und zu Litauen sind belastet, und auch zum Kreml hat Lukaschenko keineswegs stabile Verhältnisse. Belarussland hat eine sehr günstige geopolitische Lage und wenn wir bessere wirtschaftliche, kulturelle und soziale Kontakte zu unseren Nachbarn haben, werden wir davon profitieren. Lukaschenko hat eine sehr effektive administrative Volkswirtschaft aufgebaut mit festgesetzten Preisen und strenger staatlicher Kontrolle der Unternehmen. Aber das wird nur noch sehr kurze Zeit zu halten sein. Russland verlässt dieses System, die Ukraine hat es verlassen. Die belarussische Volkswirtschaft verliert jede Grundlage für die Weiterführung einer solchen Wirtschaftspolitik. Darin besteht die Grenze der ökonomischen Politik Lukaschenkos.

Der neue Präsident wird der Bevölkerung ökonomisch also einiges zumuten?

Wir sollten die wichtigen Prinzipien der Sozialpolitik nur sehr langsam ändern, nicht mit einer Schocktherapie. Viele Politiker verstehen, dass sie mit der Ankündigung einer Stresspolitik keine Aussicht auf Erfolg hätten. Die Sozialpolitik muss weitergeführt und mit neuen Elementen ergänzt werden.

INTERVIEW: ANNETTE JENSEN

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