piwik no script img

Suppenliebe Von der „Cap Anamur“ wurde Vân Nguyen 1981 vor Vietnam aus dem Meer gerettet. Sie weiß, dass eine gute Pho mindestens 24 Stunden brauchtWalle! Walle! Lange Strecke

… servieren, zupfen und garnieren – und schließlich: schlürfen Fotos: Luitwin Fritz

Von Du Pham

Damit die Pho besonders gut schmeckt, braucht es vor allem Geduld. Obwohl wir für Samstag zum Essen verabredet sind, fahre ich schon am Freitag zu meiner Mutter Vân nach Krefeld, um mit ihr diese Rinderbrühe zu kochen, die in Vâns Heimatland Vietnam bereits zum Frühstück verzehrt wird.

„Für uns ist Pho etwas Besonderes“, sagt Vân. „Wie alle asiatischen Völker essen auch wir viel Streetfood – da gibt es alles an Delikatessen, aber Pho gehört nicht dazu. Das geht nicht im Stehen oder Hocken an der Straße, dazu muss man sich an den Tisch setzen.“

Sie lässt die Brühe am liebsten an die 24 Stunden wallen. Dafür kommen zuerst Rinderknochen in einen großen, mit Wasser gefüllten Kochtopf. Mehrfach lässt Vân das Wasser aufkochen und kippt es anschließend weg – bis die Knochen keinen braunen Sud mehr absondern. Erst dann werden sie herausgenommen, unter fließendem Wasser gewaschen und mit etwas Salz zurück in die klare Brühe gegeben.

Was Vân mit den weiteren Zutaten macht, ist ungewöhnlich: in dicke Scheiben geschnittener Ingwer, eine halbierte Zwiebel, eine Zimtstange und Sternanis werden direkt auf einer heißen Herdplatte geröstet und dann in die Brühe gegeben. Obendrauf noch ein halber Rettich.

Vâns Handgriffe sind so schnell, dass wir dabei kaum zum Erzählen kommen. Gut, dass die Brühe über Nacht bei kleiner Hitze mit sich selbst beschäftigt ist.

1981 sind Vân und ihre fünf Geschwister durch den jahrzehntelangen Krieg in Vietnam und dessen Nachwehen auf mehrere Familienangehörige verteilt. Der Onkel, bei dem sie lebt, bietet an, ihr eine Flucht zu finanzieren. Vân willigt sofort ein. Eine Zukunft im kommunistischen Vietnam ist für sie nicht vorstellbar.

Ohne sich von ihrer Familie verabschieden zu können, macht sie sich auf den Weg, der über das Wasser führt. Nach 41 Stunden auf dem offenen Meer wird sie gemeinsam mit 600 weitere Menschen gerettet. Vom Stückgutfrachter Cap Anamur, der von der deutschen NGO „Ein Boot für Vietnam“ betrieben wird, die sich später in „Cap Anamur“ umbenennen wird.

Pho

Die Brühe:

1 kg Rinderknochen

1 Knolle Ingwer

1 Zwiebel

1 Zimtstange

4-5 Sternanisfrüchte

½ Rettich

Die Einlage:

500 g Rindfleisch

500 g Reisnudeln

nach Belieben: Thai-Basilikum, Koriander, langer Koriander, Sojasprossen, Schnittlauch, Frühlingszwiebeln, Zitronensaft

Zutaten für vier Personen, Zubereitung: siehe Text. Dazu werden Saucen gereicht – eine Fischsauce sollte auf jeden Fall dabei sein

Die folgenden Monate verbringt Vân auf den Philippinen. Dort erfährt sie, dass die von der „Cap Anamur“ Geretteten Asyl in Deutschland erhalten. Auch bekommt Vân einen Basiskurs für die deutsche Sprache und Kultur. Beim Gedanken daran schmunzelt sie: „Hängen geblieben sind zum Beispiel ‚Sehr geehrte Damen und Herren‘ oder auch ‚die Dame zuerst‘.“ In Vietnam ist es genau andersherum, da wird immer zuerst der Mann gegrüßt. „Das fand ich damals seltsam. Und natürlich die Artikel, die kann ich auch bis heute nicht.“

Milchreis geht gar nicht

Es folgen: Flug nach Düsseldorf. Bus nach Bergkamen. Vân hat Glück: Sie bleibt nur eine Woche in der Erstaufnahmestelle und bekommt ihre erste eigene Wohnung in Krefeld zugewiesen. Auf dem Spielplatz gegenüber, den es heute noch gibt, sitzt sie in den ersten Wochen häufig und grübelt über ihre neue Situation: „Ich hatte so große Angst vor einer sehr ungewissen Zukunft und vor der Tatsache, meine Familie vermutlich nicht wiedersehen zu können. Doch wusste ich: Das ist mein neues Zuhause, und hier bleibe ich.“

Ihre Eltern und Geschwister hat Vân durch die Familienzusammenführung 1985 wieder in die Arme nehmen können. In Deutschland fühlte sie sich von Anfang an sehr warm aufgenommen und war zunächst verwundert: „Für mich waren die Deutschen alle Engel: Wir kommen mit leeren Händen, und dann werden wir von Herzen aufgenommen.“

Doch vor allem weiß sie die Freiheit, die sie in Deutschland kennenlernt, zu schätzen: „Hier kannst du schlecht über die Merkel sprechen, aber in Vietnam ein schlechtes Wort über Ho Chi Minh? Pah, vergiss es!“ Was hingegen gar nicht geht, ist Milchreis: „Diese Kombination mit Milch ist ein Verbrechen.“

Bis ich einschlafe, denke ich lange über die Geschichten nach. Vieles kannte ich natürlich schon, aber bei jedem erneuten Erzählen bin ich immer wieder ehrfürchtig beeindruckt. Ausgeschlafen sitzen wir in der Küche und trinken einen Kaffee, die Brühe simmert nun schon an die 20 Stunden. Vân nimmt einen zweiten Topf, legt ein Sieb ein und kippt die Brühe um, der Topf mit der reinen Brühe kommt erneut auf den Herd.

Das Rindfleisch wird in hauchdünne Scheiben geschnitten und mit Salz, Pfeffer und Olivenöl gewürzt. Bis zum Essen bedarf es noch einer weiteren Geduldsprobe, denn die Brühe braucht noch vier Stunden. Das Fleisch füllt Vân in eine Tupperdose und stellt sie in den Kühlschrank, so kann ihre Gewürzmischung noch etwas ziehen. Wir waschen und rupfen die Kräuter und kochen die Nudeln.

Mit einem Käfer nach Paris

Zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland beherrscht Vân die vietnamesische Küche noch nicht. Sie weiß zwar Reis und Instantnudeln aufzuwerten, ein authentisches vietnamesisches Gericht isst sie aber erst vier Jahre nach ihrer Flucht – in Paris. Extra deswegen sind wir dorthin gefahren, der blaue Käfer, den mein Vater für 400 Mark gekauft hatte, dient uns vor Ort als Schlafkoje. Doch in der Nacht kann Vân nicht schlafen: „Die Pariser Straßen haben mich sehr an Vietnam erinnert, und in diesem Moment habe ich meine Heimat schrecklich vermisst.“

Keine 24 Stunden verbringen wir in Frankreich, und doch ist es eine ganz besondere Fahrt, der erste Familienurlaub sozusagen. Den Eiffelturm haben wir übrigens nicht besichtigt.

Ihre erste eigene Pho hat Vân dann ein Jahr später gekocht, zu der Zeit lebt sie in Monheim, und die Zutaten bekommt sie aus einem Asiamarkt in Oberhausen. Und die Pho? „Leider ekelhaft, sie schmeckte nach nichts, trotz der ganzen Fischsauce.“ Und die ist ein elementarer Bestandteil der vietnamesischen Küche. Bevor es die Asiamärkte gab, „haben einzelne Vietnamesen Fischsauce heimlich aus dem Kofferraum verkauft.“

Alles noch einmal aufbrodeln lassen … Foto: Du Pham

Vâns Weg führte zurück nach Krefeld, im Klinikum macht sie eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin. Auch heute arbeitet sie dort.

Es ist schon Nachmittag, und im Magen knurrt es. Die Brühe darf nun noch einmal aufbrodeln, und wir richten an: Die Nudeln kommen in eine große Schüssel, die gewünschte Menge Rindfleisch wird in eine Suppenkelle gelegt, für einige Sekunden in die kochende Brühe gehalten und dann ohne Flüssigkeit auf die Nudeln gelegt. Wir geben Frühlingszwiebeln und frisch gemahlenen Pfeffer hinzu und dann endlich die Brühe drauf.

Nach eigenem Gusto verfeinern wir unsere Suppe mit Zitronensaft und den Kräutern, die auf Serviertellern auf den Tisch kommen. Dazu gibt es bei Vân drei Saucen: Hoisin, Sriracha-Chili und eine Fischsauce mit einer frischen Chilischote. Sie können entweder direkt in die Suppe gegeben oder als Dip für das Rindfleisch genutzt werden.

Vân serviert zur Nudelsuppe ein kaltes Bier. Wir stellen unser Gespräch ein und schlürfen. Und es darf sehr gerne sehr laut geschlürft werden.

Die Genussseite: Wir treffen uns einmal im Monat mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Essen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens. Philipp Maußhardt schreibt über europäisches Essen ohne Grenzen, und taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen