piwik no script img

Klassisches Skandalspiel

Schlacht Nach Barcelonas Last-Minute-Sieg in Valencia tobt das Publikum. Wieder einmal fragt man sich in Spanien,ob der Großklub auch ohne Hilfe der Schiedsrichter so groß wäre, wie er ist

Wilder Mann: Lionel Messi trifft und ärgert sich über Aggro-Fans Foto: Fernandez/ap

VALENCIA taz | Lionel Messi hat ja in letzter Zeit sukzessive das Erscheinungsbild verändert. Mit seinen teilblondierten Haaren dürfte er bei jedem Revival der 1980er-Jahre-Band Kajagoogoo auftreten, der Trucker-Vollbart verleiht ihm einen ungekannten Touch von Männlichkeit. Nicht zuletzt kann der fünffache Weltfußballer neuerdings herrlich böse gucken, seine Augen ziehen sich dann angriffslustig zusammen. Und wie böse er war, nach seinem Elfmetertor in der Nachspielzeit zum 3:2 des FC Barcelona in Valencia! Im poetisch gefärbten Spanisch der Argentinier überbrachte Messi den Heimfans seine Botschaft – von Geschlechtsteilen und Familienangehörigen aus dem Gewerbe der käuflichen Liebe.

Neben ihm lag sein Sturmkumpel Neymar auf dem Boden, getroffen von einer Plastikflasche aus dem Block. Der Nachmittag hatte schon mit einem Wurfgeschoss begonnen: Auf den im Sommer von Valencia zu Barcelona desertierten Paco Alcácer war beim Gang zur Ersatzbank ein Beutel Sonnenblumenkerne geflogen, Spaniens traditioneller Fußball-Snack. Die Rückkehr des gebürtigen Valencianers erhöhte die Voltzahlen im sowieso stets angespannten Estadio Mestalla. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte Trainer Luis Enrique den Angreifer auch noch aufgestellt.

So mussten sich die aufgeputschten Valencia-Profis mit dem ebenfalls 300 Kilometer in den Norden gewechselten Mittelfeldspieler André Gomes begnügen, dem Mario Suárez bald die Stollen ins Knie rammte. Zu diesem Zeitpunkt war Andrés Iniesta bereits mit der Bahre vom Platz getragen worden, die Hände über dem Gesicht, Tränen darunter, vorbei an einem fuchsteufelswilden Luis Enrique. Der Coach unterstellte eine Verletzungsabsicht von Valencias Kapitän Enzo Pérez beim vorangegangenen Zweikampf. Wohl zu Unrecht, das harte Tackling war regelkonform, doch Iniestas rechtes Knie verfing sich fatal zwischen Pérez’ Beinen. Die Diagnose des Vereins am späten Abend – Teilriss des Außenbands, sechs bis acht Wochen Pause – konnte fast noch als glimpflich gelten. Fußball-Spanien atmet halbwegs auf: So beliebt ist Iniesta über alle Klubgrenzen, dass er sogar in Mestalla mit Beifall verabschiedet wurde.

Jenseits von Iniesta wird sich Fußball-Spanien über nichts einig, außer vielleicht darüber: Die Schlacht von Mestalla galt ad hoc als Klassiker unter den Skandalspielen. Während Barcelona nun über „Gewalt“ und „Anti-Fußball“ zürnt (Sport), forderte der berühmteste Real-Madrid-Anhänger in Spaniens Presse, der Reporter der Sport-Postille As, Tomás Roncero, sein Klub solle sich vom Ligabetrieb abmelden: „Wenn Florentino (Pérez, Real-Präsident, d. Red.) Santiago Bernabéu (mythischer Expräsident) wäre, dann würde er der Jahreshauptversammlung sagen, dass Real diese Farce verlässt.“

Der Fanschal-Journalist meinte die Szenen, die Valencias neuem Trainer Cesare Prandelli schon nach seinem ersten Heimspiel in Spanien die Erkenntnis von „psychologischem Vasallentum der Unparteiischen“ gegenüber den Großklubs bescherten. Tatsächlich brachte Spielleiter Undiano Mallenco noch binnen der ersten Halbzeit die Heilige Dreifaltigkeit der Schiedsrichterfehler zur Aufführung. Er gab (a) Messis Tor zum 0:1 trotz klarer Abseitsposition des in der Schusslinie postierten Luis Suárez, verweigerte (b) den Gastgebern einen Elfmeter nach Check von Umtiti gegen Rodrigo und verschonte (c) Sergio Busquets nach einem taktischen Foul vor der fälligen Gelb-Roten-Karte.

Die Heilige Dreifaltigkeit der Schiedsrichterfehler

Immerhin scheint es Valencia unter Prandelli wieder zu gelingen, Rage in Rasanz zu verwandeln. Italiens Exnationaltrainer stellte auf Dreierverteidigung um, und der Tabellen-15. überrollte den Favoriten mit herrlichen Toren durch Barça-Leihgabe Munir und Rodrigo. Die Katalanen antworteten durch Luis Suárez, und so ging es remis in die letzten Sekunden der Nachspielzeit: noch ein Spielzug von Messi, ein Doppelpass mit Neymar, ein Pass auf Suárez, ein unstrittiges Foul von Abdennour. Showdown: Messi, der weltbeste Fußballer mit der einen Schwäche vom Elfmeterpunkt (77 Prozent Trefferquote) gegen Valencias Keeper Diego Alves, den weltbesten Elfmetertöter (46 Prozent gehalten). Alves ahnte die Ecke, um Millimeter verpasste er den Ball. Und von der Tribüne flogen die Flaschen. Florian Haupt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen