: Die Perfektionistin
Lieder Mit einem Schubladendenken und der Grenze zwischen Klassik und Pop kann Agnes Obel wenig anfangen. Auf ihrem neuen Album „Citizen of Glass“ beschäftigt sich die seit zehn Jahren an der Spree lebende dänische Musikerin mit Überwachung und den gläsernen Menschen
von Jens Uthoff
Agnes Obel hat zuletzt viel Zeit mit shoppen verbracht. Damit das neue Album der dänischen Künstlerin so klingt, wie es nun klingt, durchforstete sie das halbe Netz und erforschte die Welt des Musikinstrumentebaus, ehe sie stolze Besitzerin eines Harmoniums, eines Spinetts und eines Trautoniums wurde. Will man wissen, was sich hinter Letzterem verbirgt, muss man schon etwas in der Geschichte graben: Das Trautonium ist ein Vorläufer der Synthesizer, erstmals gefertigt im Jahr 1930, und sieht aus wie eine Orgel mit Schalttafel. Obel hatte sich in den Sound des heute retrofuturistisch anmutenden Geräts verliebt – und ließ sich von einem Instrumentebauer eins anfertigen. Bauzeit: ein Jahr.
Die trautonischen Klänge kann man nun auf dem dritten Album der in Kopenhagen geborenen und in Berlin lebenden Pianistin hören. „Citizen of Glass“, so der Titel, war eine Herausforderung für sie, in vielerlei Hinsicht. Denn Obel, am gestrigen Freitag 36 Jahre alt geworden, hat mit ihren ersten beiden Alben „Philharmonics“ (2010) und „Aventine“ (2013) einen Bilderbuchstart als Musikerin hingelegt. Und das nicht nur in kommerzieller Hinsicht – in Dänemark mehrmals Nummer 1 der Charts, ausverkaufte Konzerte in ganz Europa –, sondern auch, was die künstlerische Qualität betrifft. Beide Alben waren kleine, durchchoreographierte Meisterwerke des Piano-Pop.
Besteht da so etwas wie Erwartungsdruck? Von innen, von außen? Agnes Obel sagt: „Ich denke nicht darüber nach, ob die Musik am Ende erfolgreich sein wird, das ist nicht meine Herangehensweise. Was ich tun kann, ist Musik zu machen, die mich selbst reizt und anregt. Meine eigene Neugier nutzen, um Ideen zu entwickeln.“ Obel sitzt an einem Oktobervormittag im Café des Funkhaus Berlin in Oberschöneweide, wo sie des Öfteren aufgenommen hat, mit Blick auf die diesige Spree. „Das ist etwas, das ich in Berlin gelernt habe: Musik zunächst mal nur um ihrer selbst willen zu machen.“
Das digitale Selbst
Ein Konzept für das neue Album gab es dennoch von vornherein. Es war der deutsche Ausdruck des gläsernen Bürgers, der Obel als Idee nicht mehr losließ. Um das Thema Überwachung, um die Perspektive auf das digitale Selbst kreisten ihre Überlegungen, als sie merkte, dass ihr bisheriges Instrumentarium – die Songs basierten zuvor auf Klavier, Cello und Gesang – nicht ausreichte, um dem Sujet gerecht zu werden. „Es sollte sich Spannung und Unbehagen in der Musik widerspiegeln. Dafür reichte das Klavier nicht aus, in gewisser Weise ist dessen Klang dafür zu schön. Wenn man von anderen beobachtet wird oder man sich selbst wie von außen betrachtet, ist das nicht unbedingt eine angenehme Erfahrung.“ Obel wollte deshalb einen metallischeren Sound. Sie recherchierte. Besuchte ein Museum für Musikinstrumente. Am Ende fanden sich besagte drei Instrumente mehr in der Obel’schen Sammlung.
„Citizen of Glass“ ist in gewisser Weise typisch für Agnes Obel: Jedes kleinste Detail ist durchdacht, von der Auswahl der Instrumente bis zum Arrangement und der Produktion der Tracks erledigt sie nahezu alles selbst. Nur das Einspielen mancher Instrumente überlässt sie anderen. „Was meine Musik betrifft, bin ich natürlich Perfektionistin“, sagt sie, als sei dies so selbstverständlich wie die Morgenwäsche. Die neue Instrumentierung sorgt nun für einen rhythmischeren Sound. Die Saiteninstrumente werden oft gezupft, nicht gestrichen; das Cello, gespielt von Kristina Koropecki, häufig mit dem Bogen geschlagen. Das lässt die Songs dynamischer, nicht mehr ganz so fließend wie zuletzt wirken.
Gleichzeitig klingen die zehn Stücke kühl und distanziert. Das liegt daran, dass Obel den Gesang mit Effektgeräten bearbeitet hat. „Ich wollte verschiedene Stimmen und Stimmlagen verwenden“, erzählt sie, auch das habe mit dem Thema des Albums zu tun: „In der heutigen Zeit haben wir alle nicht nur eine Identität, sondern stets wechselnde“, erklärt sie. Mit dem sogenannten Pitch Shifter veränderte sie so ihren Gesang, in „Familiar“ singt sie zum Beispiel in hoher und tieferer, männlich klingender Stimmlage, ein Duett mit sich selbst. In anderen Stücken arbeitet sie mit Kanons und Chören. Manche Songs, so erzählt sie, bestünden aus 250 einzelnen Spuren – das Maximum, das ihr Sequenzerprogramm hergegeben habe.
Aufgenommen hat Agnes Obel zum Teil in ihrem Appartement, das sie gemeinsam mit Freund und Filmemacher Alex Brüel Flagstad bewohnt. Obel hat dort ein Musikzimmer eingerichtet, zudem mischt und produziert sie in einem Studio in Mitte. Eineinhalb Jahre hat die Arbeit an „Citizen of Glass“ insgesamt in Anspruch genommen, in den letzten sechs Monaten bis zur Fertigstellung habe sie fast kein Sozialleben gehabt, erzählt sie. Man kann sich gut vorstellen, wie sie des Nachts vor dem Bildschirm sitzt und an jeder Tonspur akribisch feilt.
Zwischen Dänemark und Berlin gibt es einen regen Pop-Austausch. Mit Agnes Obel und der Band Efterklang – beide ursprünglich Kopenhagen – leben und arbeiten zwei der erfolgreichsten dänischen Pop-Acts in Berlin. Inzwischen hat Efterklang, die Band um Casper Clausen, mit Liima ein weiteres tolles Bandprojekt, und Clausen & Co. haben hier auch das „By The Lake“-Internet-Radio gegründet (inklusive eigenem Festival im Sommer). Weitere prominente und hörenswerte Berliner Exildänen: Der Pop-/Dance-Künstler Asbjørn, die Wave-Pop-Band Rough Days For Diamond Trade oder die experimentelle Songwriterin Liva Mo.
Musik aus der florierenden dänischen Szene ist natürlich auch darüber hinaus in Berlin zu sehen und zu hören. So zum Beispiel im Rahmen der JaJaJa-Konzertreihe, die auf skandinavische Musik spezialisiert ist und bei der am 24. November die Aarhuser Noise-Pop-Band Lowly auftritt.
Die spannendsten und erfolgreichsten Popkünstler im Nachbarland selbst sind zurzeit Frauen: Sängerin MØ räumte zuletzt mit elektronischen Dancefloor-Beats ab, die Künstlerin Oh Land ist für sphärischen Elektropop bekannt, während die zuletzt sehr erfolgreiche Sängerin Fallulah irgendwo zwischen Mainstream-Pop und Songwriter anzusiedeln ist. (jut)
Daran, dass die seit zehn Jahren an der Spree lebende Dänin zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen ihres Landes wurde, haben sowohl die inzwischen in Vergessenheit geratene Plattform MySpace als auch die Deutsche Telekom ihren Anteil. Über ihr MySpace-Profil wurde sie 2009 für Musiklabels interessant und bekam einen Plattenvertrag. Im selben Jahr verwendete das Telekommunikationsunternehmen einen ihrer Songs für einen Werbespot. Ein Jahr später veröffentlichte die von Claude Debussy, dem schwedischen Pianisten Jan Johannsson und US-Musiker Scott Walker geprägte Künstlerin ihr Debütalbum; darauf brachte sie klassisches Klavierspiel mit Pop-Songwriting zusammen. In Kopenhagen hatte sie als Pianistin zuvor bereits als Elfjährige in Bands gespielt und gegen Ende ihrer Schulzeit Musikproduktion gelernt.
Der Spirit der Stadt
Während diese blonde Frau mit den kristallblauen Augen nach außen fast makellos wirkt und auch so inszeniert wird, erscheint sie im Gespräch eher so normal, als könnte sie auch eine von den vielen anderen Däninnen und Dänen sein, die man beim Bäcker in Kreuzkölln trifft. Der Einfluss der Stadt auf ihre Kunst werde im Übrigen oft überschätzt, meint sie. Auf der einen Seite habe Berlin viel für sie möglich gemacht, der Spirit und die Haltung zur Musik in der Stadt habe sie geprägt. „Aber nicht alles, was ich tue, muss gleich mit Berlin verbunden sein“, sagt sie, „in gewisser Weise trivialisiert es auch ein bisschen deine Kunst, wenn man den Standort Berlin immerzu für das kreative Schaffen verantwortlich macht.“
Was sie hier stärker als in ihrer Heimat zu spüren bekommt, ist die Tatsache, dass sie sich an einer in Deutschland besonders stark wahrgenommenen Grenze zwischen Pop und Klassik, zwischen U und E bewegt. „Es wäre an der Zeit, dass Deutschland seine starren Kategorisierungen mal auflöst. Ich bin immer ein bisschen angepisst, wenn sie bei der Gema mit ihren Einstufungen in Unterhaltungsmusik und Ernste Musik ankommen.“ Wer sich so intensiv mit Klängen und deren Wirkung beschäftigt wie Agnes Obel, den kann das deutsche Schubladendenken in Sachen Musik eben schon mal leicht säuerlich werden lassen.
Agnes Obel – „Citizen of Glass“ (PIAS/Rough Trade)
Live: 14. 11., Admiralspalast
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