Bühnenadaption von Zolas Roman „Geld“: Korsett und Gehstock
Ein Albtraum des Kapitalismus: Luk Perceval erzählt am Hamburger Thalia Theater von Luxus und Abstieg – nach Émile Zolas „Geld“.
Jede seiner Gesten dient als Machtbeweis. Süffisant lächelt er über alle hinweg. Gekleidet im allerbesten Anzugstoff. In seinem Pariser Kaufhaus bietet er, der Kaufhaus-Baron Saccard, solch edlen Kleiderstoff den Frauen zu Spottpreisen an. Lockt mit Luxus für wenig Geld, macht den Reibach mit teurem Ramsch, scheut sich nicht, die Arbeit suchende junge Verkäuferin ins Boudoir zu bestellen – mit einer galanten Geste im Fin-de-Siècle-Stil, aber mit dem Zynismus des finanziell überlegenen Mannes.
Erfolgs- und Machtrezepte aus dem Frühkapitalismus treffen überreich zusammen in „Geld“, dem zweiten Teil der Theatertrilogie, für die der belgische Regisseur Luk Perceval den 20-bändigen Romanzyklus „Die Rougon-Macquart“von Émile Zola bearbeitet hat, eine Koproduktion der Ruhrtriennale und des Thalia Theaters Hamburg. Erzählt wird das Schicksal einer Familie, von der ein Teil im Zuge der industriellen Revolution in den Wohlstand aufsteigt, der andere zugrunde geht. Perceval hat ein Faible für solche weitverzweigten Stoffe, in der sich Welt- und Privatgeschichten verbinden. Als er 2009 am Hamburger Thalia Theater begann, inszenierte er einen aufwendig recherchierten Kraftakt über den Kennedy-Clan, von ihrem Auswandern in die USA bis zum Ehrgeiz zur politischen Macht.
Um Aufstieg und Fall dreht sich auch Percevals Zola-Bearbeitung. Im Zentrum eines panoramahaften Beziehungsgeflechts steht Nana, die als Varieté-Star und Prostituierte aus ihrer Schönheit Kapital zu schlagen weiß. Ausgehalten wird sie, erträgt Erniedrigungen und erniedrigt selbst, wenn sie den reichen, aber hochsenilen Grafen empfängt. Zwei Dutzend Figuren erlebt man, beeinflusst vom finanziellen Überlebenskampf.
Das Theater lebt von solchen Stoffen, und Perceval gelingt das Kunststück, Zola auf allgemeingültige Konflikte zu verdichten. Im Ambiente von heute könnte man sich das bestens vorstellen. Doch Perceval zieht es in die andere Richtung. Historische Kostüme führen wie Resonanzkörper in die Zeit zurück: Gehröcke und -stöcke, Zylinder, Vatermörderkragen, Sinnbilder für puritanische Strenge und Ausschweifung zugleich, die die Härte der Figuren unterstreichen.
Maja Schöne als Nana wechselt reihenweise Korsagen und zarte Spitzenunterhemden der Belle Époque. Alte Schreibmaschinen werden auf der Bühne verteilt, ihr Klappern schwillt zu einer Soundcollage. Beeindruckend dräuenden Klang produzieren die Musiker auf großen Metallplatten, dröhnende Schläge wie ächzende alte Industrie-Maschinen als Metapher für die rasante technische und wirtschaftliche Entwicklung.
Rausch und Selbstekel
In starken Momenten fügen sich Text, Musik, Raum zu einer albtraumhaften Bühnensetzung aus der Urzeit des Kapitalismus, die Vergnügungssucht genauso wie Entmenschlichung provoziert. Vor allem die schauspielerische Präsenz von Barbara Nüsse als knöcherner Graf Muffat zieht die Stimmung in dunkle Sphären. Reichtum brachte ihm die Dienste Nanas ein, aber nicht ihre Gefühle. Krummbeinig auf den Stock gestützt, steigt er in gefühlter Ewigkeit die Treppe hinauf Richtung Boudoir, strauchelt und bleibt liegen wie ein Untoter, eingesargt in Demütigung und vergebliche Liebe.
Jenseits solcher suggestiven Szenen tut sich der Abend schwer, die Schicksalswege differenziert zu entwickeln. Vor allem anhand der Frauenfiguren ließe sich einiges erzählen. Während Nana vom Rausch des Luxus in Selbstekel abrutscht, entscheidet sich die junge Verkäuferin Denise (Patrycia Ziolkowska) gegen ein Heiratsangebot und tritt der aufkeimenden Revolutionsbewegung bei. Als Option geht das am Ende allerdings unter.
Die Inszenierung tritt im letzten Viertel auf der Stelle. Alle Spannung verliert sich im ermüdend frontalen Erzähltheater, das die Motivationen nicht mehr zusammenbringt. Der richtig große Coup will Perceval mit „Geld“ nicht gelingen. Und doch: Was er aus Zola an menschlicher Hybris hervorholt, ist von einer Kraft, die man im Moment nicht oft zu sehen bekommt.
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