piwik no script img

UpperClass „Ein Tanz zur Musik der Zeit“: Anthony Powells Opus Magnum erscheint erstmals vollständig auf DeutschDie feine englische Art

Ein britischer Marcel Proust soll er sein, vor allem Briten sagen das. Wohl aus literarischem Lokalpatriotismus her­aus. Aber man tut dem Schriftsteller Anthony Powell (1905–2000) damit keinen Gefallen. Der Vergleich ist oberflächlich und am Ende falsch oder wenigstens irreführend, wurzelt doch Powells Werk letztlich im Realismus des Viktorianischen Zeitalters und in den groß angelegten Visionen seiner schreibenden Vertreter, namentlich vor allem Anthony Trollope. Nebenbei bemerkt wurde der Titel „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ vom gleichnamigen Gemälde des französischen Barockmalers Nicolas Poussin übernommen.

Lakonisch und kühl im Stil lässt Powell seinen Ich-Erzähler Nicholas Jenkins, mit dem er etliche biografische Daten teilt, die Stationen seines Lebens Revue passieren – vom Elite-Internat Eton über Studienzeiten in Oxford, literarische Anfänge und Tätigkeiten im Londoner Verlagswesen, Partys, Landausflüge und Liebeleien bis hin zur Hochzeit, zum Zweiten Weltkrieg und zum Untergang des Britischen Empires. Wirklich nirgends beschleicht den Leser das Gefühl, jemand befinde sich hier auf der Suche nach einer „verlorenen“ Zeit, im Gegenteil. Zurückversetzt in die jeweilige Dekade berichtet Jenkins weniger von sich selbst als von den Geschehnissen und vor allem den zahllosen Menschen – Künstlern, Politaktivistinnen, Partylöwen oder Aristokraten –, die ihn umgeben, und zeichnet so mit feinem Witz und noch feinerer Ironie ein minutiöses gesellschaftliches Panorama der englischen Upperclass ungefähr vom Beginn der zwanziger Jahre bis in die frühen siebziger.

Prousts philosophische und psychologische Dimensionen erreicht Powell bei Weitem nicht, das muss er ja aber auch nicht. Das einzige britische Werk, das sich diesbezüglich mit Proust vergleichen ließe, bleibt wohl dasjenige Virginia Woolfs, die im Roman, vielleicht sogar stellvertretend, eher schlecht wegkommt, jedenfalls erscheint es Jenkins an einer Stelle (im Band „Bei Lady Molly“) wichtig zu betonen, dass er sie nicht sonderlich schätzt. Will man unbedingt einen Vergleich ziehen, dann eignet sich eher Jane Gardam, aber auch nur, weil sie wie auch im besten Sinne konservativ schreibt und jetzt in Deutschland (mit der Roman-Trilogie „Ein untadeliger Mann“, „Eine treue Frau“ und „Letzte Freunde“) ebenfalls endlich zu entdecken ist.

Ein kleiner, kühner Verlag

Die Entdeckung Anthony ­Powells gleicht, unübertrieben, einer Schatzhebung. Neben seinem Hauptwerk hat er noch weitere Romane, Stücke, Essays, Memoiren, Tagebücher und Briefe verfasst, die (wenigstens zum Teil) auf eine Übersetzung warten. Journalistisch war er für den Spectator, das Times Literary Supplement und den Daily Telegraph tätig sowie zwischenzeitig als Drehbuchschreiber bei Warner Brothers in Hollywood angestellt, wo er unter anderem Francis Scott Fitzgerald kennenlernte.

Toll ist übrigens nicht nur, dass der kleine (und recht kühne) Berliner Elfenbein Verlag das Riesenprojekt einer Gesamtübersetzung des „Tanzes“ überhaupt in Angriff genommen hat, sondern auch, dass die einzelnen Bände – zwölf sind es insgesamt – sukzessive im Halbjahrestakt bis vor­aussichtlich Oktober 2019 erscheinen und der Leser nicht dadurch abgeschreckt wird, alles auf einmal lesen zu müssen. Erschienen sind bislang die ersten fünf Bände. Im Herbst folgen jetzt, süchtig erwartet, zwei weitere: „Die Wohlwollenden“ und „Das Tal der Gebeine“.

Hinzu kommt, dass es in ­Powells roman-fleuve nicht um einen großen, auf ein Finale hin angelegten Handlungsbogen geht, sondern eher um halbwegs abgeschlossene Einzelepisoden und schillernde Anekdoten, die so unverhofft und unwillkürlich eintreten, wie es das Leben eben so will. Am Ende der einzelnen Bände aber lauern entsprechend keine Cliffhanger, dankenswerterweise. Allerdings tauchen einzelne Protagonisten aus dem weiten Bekanntenkreis Jenkins’ immer wieder auf (andere verschwinden sang- und klanglos), allen voran der Außenseiter, Internatsmitschüler und später im Wechselgeschäft tätige Kenneth Widmerpool, der in seiner vermeintlichen Banalität und plastischen Unerträglichkeit eine der ganz großen Figuren der englischen Literatur darstellt. Tobias Schwartz

Anthony Powell: „Ein Tanz zur Musik der Zeit“. A. d. Englischen von Heinz Feldmann. Elfenbein Verlag, Berlin, 12 Bände, je 22 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen