Die Wahrheit: Ein neues Ass fürs Schloss Bellevue
Vor der Bundespräsidentenwahl 2017: Gesucht wird ein Nachfolger für Joachim Gauck. Das Kandidatenfeld ist eng. Sehr eng.
„Früher wurden nur die Allerbesten für den Job ausgesucht“, erzählt der alte Hausmeister der Villa Hammerschmidt und lässt seinen Blick über die Porträts der ehemaligen Bundespräsidenten schweifen, die verstaubt und unbeachtet im Bonner Dienstsitz hängen. Der derzeitige Amtsinhaber benutzt das Anwesen nur noch gelegentlich als Datsche und um kistenweise Autogrammkarten einzulagern, die doch keine Abnehmer mehr finden.
„Nun ja, vielleicht waren es auch nur die Allerzweit- bis Drittbesten“, gibt der alte Rheinländer zu und feudelt Papa Heuss liebevoll eine Staubmaus von der Nase. „Aber immerhin haben sie sich alle regelmäßig gewaschen und waren zu Dienstbeginn meist nüchtern.“
Bismarck, Ramses II., Lübke, Weizsäcker, Godzilla und Johannes Rau – die Älteren werden sich an Zeiten erinnern, in denen noch jedes Schulkind, das mit einer Maulschelle aus dem Tiefschlaf im Sachkundeunterricht gerissen wurde, die Ahnenreihe der Amtsinhaber herbeten konnte.
Immerhin wurden die Präsidenten der Republik als gottgleiche Wesen verehrt und galten als Männer, die ihren Worten noch Worte folgen ließen, oft gab es sogar Kaffee und Kuchen dazu. Unvergessen die Tage, da Winnetou Weizsäcker mit einer launigen Rede den Zweiten Weltkrieg beendete oder Karl Carstens die allgemeine Wanderpflicht einführte.
„Es war der größte Fehler meines Lebens“
Doch seit der letzte Überlebende der rechtgeleiteteten Bundeskalifen, die Liberalenlegende Walter Scheel, jüngst im zarten Alter von nur 340 Jahren seinen Gelben Dienstwagen gegen einen Posten im Kabinett der Ewigkeit eingetauscht hat, weilt keiner der Großen Alten mehr unter uns Sterblichen. Lediglich mindere Knallchargen wie Roman „The Ruck“ Herzog und Hotte „Ich bin dann mal weg“ Köhler mümmeln noch auf dem präsidialen Gnadenhof die karge Kost des Alters, während das Amt mehr schlecht als recht von einem klapprigen Dorfpfarrer aus dem Osten versehen wird, der allerdings auch bald die Brocken hinwerfen will. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht, gilt der Job doch mittlerweile als absoluter Karrierekiller.
„Eher werde ich Kanzerkandidat der SPD“, gab Hessens konservativer Ministerpräsident Volker Bouffier zu, den der gemeine Präsidialvorwurf hinterrücks aus den eigenen Reihen traf. Zu klar steht dem Polit-Profi das abschreckende Beispiel Joachim Gaucks vor Augen, der in kaum vier Jahren von Deutschlands lautester Freiheitsglocke zum unbeliebtestem Fernsehprediger des Landes zusammenschnurrte. Außerdem müsste Bouffier sich dann seine gelben Zigarrenzähne fernsehgerecht weißen lassen und dafür fehlt dem Gießener Nikotinfan Wille und Zeit.
Doch auch andere Betroffene melden sich zu Wort. „Es war der größte Fehler meines Lebens“, sagt ein Ehemaliger, dessen sozialer Abstieg mit der Übernahme des Postens begann. „Ich bin mit leeren Versprechungen von Glanz und Gloria geködert worden. Und als ich unterschrieben hatte, haben sie mir meinen Pass weggenommen und mich für ihre perversen Rituale missbraucht. Ich musste zum Beispiel winken, bis mir der Arm wehtat.“
Seinen Namen will der fahrig wirkende Mann allerdings nicht in der Zeitung lesen, jedenfalls nicht ohne Honorar. Verständlich, wenn man bedenkt, dass der blasse Niedersachse eine glanzvolle Karriere als Lokalpolitiker aufgeben musste und sich heute als Spargelbotschafter und Prügelknabe verdingen muss. „Haus weg, Job weg, Frau wieder da“, fasst er seine Misere zusammen und barmt: „Einen Expräsi stellt doch niemand mehr ein.“ Denn tatsächlich gelten Menschen, die über einen längeren Zeitraum im Repräsentativtrakt einsaßen, als kaum mehr resozialisierbar.
„Er schlurft bloß noch murmelnd durch die Gegend und weiht wahllos Dinge ein“, klagt auch die ehemalige First Lady. Immerhin hat die Krankenkasse die Therapiekosten ihres Mannes übernommen und ein Dutzend lebensechter Gummipuppen bewilligt, mit denen das Paar im heimischen Garten von Großburgwedel Kinderfeste und Staatsbesuche nachspielen kann.
Ansonsten soll der von jahrelanger Bedeutung gezeichnete Abhängige in seinen Therapiestunden bei leichter Gartenarbeit und Holzhacken neuen Lebensmut fassen. Doch der Erfolg lässt auf sich warten. „Das Stiefmütterchen gehört zu Deutschland“, faselt der Expräsident sinnlos vor sich hin und weiht die frischgepflanzten Rabatten höchstpersönlich ein. Kein Wunder, dass niemand so enden will.
Unwillige Kandidaten
Im Bundeskanzleramt stapeln sich deswegen die Absagen. Angela Merkel würde gern ihre Nemesis Horst Seehofer zu verschärfter Festungshaft in Bellevue verdonnern, und Sigmar Gabriel erwägt gar den Freitod durch Doppelkandidatur als Kanzlerpräsident.
Auch der Kartenvorverkauf für die Bundesversammlung, die den Frühstücksdirektor aller Deutschen am 12. Februar 2017 im Reichstagsgebäude zu Berlin beim Topfschlagen ermittelt, läuft schleppend. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht: Die Gage des beim simplen Stimmvolk beliebten RTL-Moderators Günther Jauch würde den Staatshaushalt sprengen und den Deutschen ihres liebsten Hirnvernichtungsquiz berauben. „Wer wird Millionär?“ würde Jauch nur noch im kleinen Kreis erlauchter Expolitiker wie Ronald Pofalla, Eckart von Klaeden oder Dirk Niebel moderieren können, damit das trockene Scherflein der Wirtschaftswechsler nicht womöglich feucht wird.
Alle anderen Kandidaten lassen sich verleugnen, sobald die Kanzlerin anruft. Andreas Voßkuhle, im Brotberuf Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat das Amt schon im Jahr 2012 abgelehnt und droht mittlerweile jeden vor den Kadi – also vor sich selber – zu zerren, der das P-Wort in seiner Gegenwart in den Mund nimmt.
Zuletzt geriet gar ein unbescholtener Schriftsteller aus Köln ins Fadenkreuz der Präsi-Presser. „Sie haben mir vor meinem Haus aufgelauert und gedroht, mich nach Düsseldorf abzuschieben, wenn ich nicht mitmache“, empörte sich der ansonsten grundpazifistische Friedenspreisträger Navid Kermani. Der beliebte Autor, dem außer einer sinistren Liebe zum Gitarrenschrat Neil Young wenig vorzuwerfen ist, muss wegen der anhaltenden Gerüchte gar um seine Stellung als führender Intellektueller vom Kölner Eigelstein fürchten.
Amerikanisches Vorbild
Einzig der niedersächsische Finanzfilou Carsten Maschmeyer hat Interesse an einer feindlichen Übernahme des Amtes bekundet. Der moralisch robust gebaute Drückerkönig hat es bereits als Juror in eine TV-Wirtschaftsshow geschafft und lässt damit ähnliche politische Ambitionen wie sein amerikanisches Vorbild erkennen. Aber wäre mit einer Maschmeyerisierung Bellevues nicht die viel besungene Würde des Amtes unrettbar beschädigt, wenn nicht gar zuschanden geschändet? Ganz sicher sogar, urteilen Polit-Experten und raten gleichzeitig, den Mogelmogul mit dem Popanzposten abzuspeisen, um weitaus Schlimmeres zu verhindern.
„Der Fall Trump muss uns zu denken geben“, meint etwa Soziologe Karlheinz Budenzauber. „Wenn er nicht Präsident werden darf, kapert Maschmeyer beim nächsten Parteitag die CDU und lässt sich zum Kanzlerkandidaten ausrufen.“
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