Proteste in Äthiopien: Tödliches Erntedankfest
52 oder 678 Tote? Wie viele Opfer der Militäreinsatz in Äthiopien gegen ein Fest der Oromo forderte, ist unklar. Das facht die Proteste neu an.
Radikale Oppositionelle wittern bereits das Ende der Regierung, die seit 1991 im Kern aus ehemaligen Rebellen der Tigray-Volksgruppe besteht und von Wortführern der anderen großen Ethnien, Oromo und Amhara, abgelehnt wird.
678 Tote meldet die Oromo-Oppositionspartei OFC (Oromo Federalist Congress) als Ergebnis einer tödlichen Massenpanik, die nach Überzeugung der Opposition durch Schüsse von Sicherheitskräften auf feiernde und betende Menschenmengen ausgelöst wurde.
Auf Videofilmen, die im Internet kursieren, sind unüberschaubare Menschenmengen zu sehen, die schreiend durcheinanderlaufen. Zehntausende von Menschen nahmen an dem jährlichen Erntedankfest teil.
Seit fast einem Jahr im Aufruhr
Teile der von Oromos und Amharen besiedelten Regionen Äthiopien sind seit fast einem Jahr gegen die Zentralregierung in Aufruhr. Was als lokale Empörung über staatliche Landnahme begann, hat sich in den letzten Monaten zu einer koordinierten Protestbewegung ausgeweitet, die den Sturz der Regierung will.
Anfang August wurden bei der Niederschlagung von Massenprotesten in mehreren Städten über hundert Menschen getötet.
Aussage eines Überlebenden
Damals breitete sich auch die populäre Protestgeste von zwei über dem Kopf gekreuzten Handgelenken als Symbol des gewaltfreien Widerstandes aus – weltweit bekannt machte sie der äthiopische Silbermedaillengewinner des Marathonlaufs bei den Olympischen Spielen in Rio.
Beim Erntedankfest Irreecha in Bishoftu sollen Feiernde mit dieser Geste darauf reagiert haben, dass sie Oromo-Würdenträger auf der staatlichen Ehrentribüne entdeckten, was sie als Verrat empfanden.
„Woyane!“ (Nieder!) sollen sie gerufen haben – ein alter Slogan aus Äthiopiens Widerstand gegen italienische Besatzung und später die Revolutionsparole der Tigray-Rebellen, die jetzt gegen das Regime selbst gewendet wird.
Drei Tage Staatstrauer
„Die Armee sperrte mit Fahrzeugen alle Fluchtwege ab und begann, auf die Menge zu schießen“, heißt es in einem Augenzeugenbericht vom Sonntag. „Weil es keinen Ausweg gab, drängten die Leute panisch aufeinander. Manche fielen in einen Graben. In diesem Moment schoss die Polizei Tränengas in den Graben. Wir erstickten fast. Ich konnte mich an Baumwurzeln heraushieven, aber viele sind gestorben.“
Offiziell gab es 52 Tote, Opfer der „Massenpanik“ in dem tiefen Graben. Die Regierung hat drei Tage Staatstrauer ausgerufen und stellt alles als einen „tragischen“ Unfall dar. Oppositionelle führen die „Massenpanik“ auf die Schüsse zurück und sagen, es gebe viel mehr Opfer; sie haben zu fünf „Tagen des Zorns“ aufgerufen.
Der Chef des städtischen Krankenhauses von Bishoftu sagte im Staatsrundfunk, er allein habe 55 Leichen angeliefert bekommen. Überlebende aus dem Graben werden mit der Aussage zitiert, es hätten sich darin um die 500 Menschen befunden, von denen die wenigsten überlebt hätten.
Proteste flammen neu auf
Nun flammen die Proteste im zentraläthiopischen Hochland neu auf. Es sollen in mehreren Orten öffentliche Gebäude in Flammen aufgegangen sein.
Gebrannt hat Berichten zufolge auch Gerät in der Zementfabrik des nigerianischen Milliardärs Aliko Dangote, einer der größten Industriebetriebe Äthiopiens mit einer Jahreskapazität von 2,5 Millionen Tonnen Zement, der nach ganz Ostafrika exportiert wird.
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