: Blitzkrieg Bop im YMCA
Zwar gibt es Boss Hoss und Texas Lightning – doch Anfang und Essenz deutscher Countryfizierung sind The Twang!
„Hey-ho, Hey-ho, Hey-ho, let’s go …“ – die alte Parole, die vermummten Jünglingen auf Antifa-Plakaten zu etwas von dem Glamour verhelfen soll, den sie so gern hätten, klingt aus Männermund doch berufener. Der „Blitzkrieg Bop“ der Ramones – „Hey ho, let’s go and shoot ’em in the back now“ – gewinnt ungeheuer, wenn er als abgehangener, satanisch fröhlicher Country-Klopper daherkommt, mit Honky-Tonk-Klavier und Fiddle gespielt und lässig aus der Hüfte gesungen. Wer so was macht? The Twang, sechs klasse Jungs aus Braunschweig. Sie sind die Urväter der Countryfizierung. Als die Retortenband Boss Hoss noch nicht einmal im Reagenzglas zusammengerührt wurde, waren The Twang längst da und machten aus zweifelhaften Hits wie „Oops, I did it again“, „White wedding“ und „Staying alive“ richtige Lieder.
Die Countryfizierung des Menschen ist unausweichlich wie der Herbst. Die Schweizer Aeronauten wussten das früh und sangen: „Mit dem Alter fängt man an, sich für Country-Musik zu interessiern.“ Ween reanimierten Elvis Presleys Chor, The Jordanaires, und nahmen das Album „12 Golden County Greats“ auf – mit der umwerfenden Zeile „If you really love me baby, help me scrape the mucus off my brain“.
Spätestens seitdem Johnny Cash auch bei Leuten kanonisiert ist, die seine Musik zu seinen Lebzeiten als Soundtrack für Brummifahrer missverstanden, sind auch die Deutschen reif für Country-Musik – beziehungsweise meist doch nur für einen ironisierten Abklatsch davon. Wie Boss Hoss machen auch Texas Lightning gerade Country-Furore – Olli Dittrich büßt so die nicht verjährte Schuld ab, gemeinsam mit dem FDP-Komiker Wigald Boning unter dem zutreffenden Namen „Die Doofen“ einmal die Welt verpestet zu haben. Gegen Texas Lightning ist sonst nichts zu sagen – schließlich spielt Gitarrist Hardy Kayser mit, und dieser feinmusikalische Mann hat noch jedem aus dem Schneider geholfen.
Doch hier ist die Rede von The Twang, von Männern, die die Welt veränderten. Ende 2003 sah ich sie bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem literarischen Flaneur Hartmut El Kurdi – und schnallte ab. Musikalität, Humor, Ernsthaftigkeit und Würde paarten sich mit einer wunderbaren Idee: Nimm ein Lied, das jeder kennt, und mach Musik daraus. „Countryfication“ hieß das erste Album von The Twang, wer es hörte, war infiziert. Was Bob Marley und dem sogar noch gruseligeren Eric Clapton nicht klar war, The Twang wussten es: „I shot the Sheriff“ ist selbstverständlich ein Country-Song – was denn sonst, bei dem Titel? „Don’t look back in anger“, ein großes Lied, aber leider stets von den arschgesichtigen Gallagher-Brüdern dargeboten, wird von The Twang in den Saloon gerettet, und AC/DCs „You shook me all night long“ ist auch ohne Schuluniform ein Feger.
Ihr Meisterstück aber legten The Twang mit ihrem Cover von „YMCA“ von den Village People ab. Die Schwulenhymne, deren hübsche Textzeilen „It’s fun to stay / at the YMCA / They’ve got everything for young men to enjoy / and you can hang on with all of them boys“ alles über die christliche Vereinigung junger Männer und die dort wirkenden erwachsenen Betreuer erzählen, was zu wissen notwendig ist, kommt hier in einer rednecktauglichen Pedal-Steel-Version daher.
Wie „I hung my head“ des grässlichen Religionslehrers Sting erst durch die Stimme von Johnny Cash zu einem Song wurde, so erretten The Twang „YMCA“ aus dem Karnevalsdunstkreis unwürdigen Popogewackels hinüber in die Welt der Musik.
2004 legten The Twang, wiederum beim Hamburger XXS-Label, das Album „Let there be Twang!“ nach – 15 weitere Perlen, unter ihnen auch „Ace of Spades“ von Motörhead: „I don’t want to live forever, that’s the way I like it, baby!“, ganz, ganz entspannt. Wenn die Kopisten von Boss Hoss demnächst ihre Jack-the-Feinripper-Unterhemden mit Lederjacke oder Blazer vertauschen werden, sind The Twang immer noch das, was sie sind: das Original. Und geben auch Liedern Heimat, die noch gar nicht wussten, was ein Zuhause ist. WIGLAF DROSTE
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