Loslassen Wenn die Kinder ausziehen, stürzen viele Eltern in eine Krise. Unsere Autorin war überrascht, wie stark sie der Verlust getroffen hat. Sie fand heraus: Es geht auch um ein Leben jenseits der Knackarschjahre: Als würde einer sterben
Von Silke Burmester (Text) und Stephanie F. Scholz (Illustrationen)
Ich soll mal mein Leben chillen. Ständig soll ich das, mein Sohn rät mir dazu. Er hat sein Leben sehr gut im Griff. Letzten Sommer, am Tag seiner mündlichen Abi-Prüfung, lag er 70 Minuten vor seinem Präsentationstermin noch im Bett, den Laptop auf dem Bauch. Die Präsentation war noch nicht ausgedruckt. Wie auch, unser Drucker war seit Wochen kaputt. Mir war klar, egal was ich sagen würde, es wäre falsch. Völlig falsch. Völlig unnötig, völlig übertrieben und eben einfach nicht gechillt. Aber ich bin eine Mutter. Ich bin an so einem Tag nervös.
Es war 12.30 Uhr, ich hatte den ganzen Vormittag genutzt, um nervös zu sein, und es als Durchhalteübung verstanden, NICHT in sein Zimmer zu gehen und ihn NICHT zum Aufstehen zu drängen. Und nun, da nur noch 70 Minuten blieben, hielt ich es einfach nicht mehr aus. Mein Empfinden, ein wenig Aktivität wäre angebracht, musste raus. Aber klar, mein Sohn sah das komplett anders. Noch bevor ich ansetzen konnte, hatte Ben die Lage geklärt: „Ich habe das alles im Griff!“
Der Wunsch, ein Kind zu haben, entsprang einem großen Zuviel. Zu viel an Energie. Zu viel an Liebe und Lebensfreude. Es war, als bräuchte ich einen Ableger, in den dieses Zuviel hinfließen könne. Diese Energie, diese Liebe, diese Freude. Und obwohl die Beknacktheit, die Kinder immer mal wieder an den Tag legen, das Nervenzerren und Grenzenaustesten, einen oft genug an vielem zweifeln lassen, ist dieses schöne Gefühl des Überlaufens bis heute da. Nur Ben ist weg. Vor vier Monaten, mit 19, ist er ausgezogen.
Der Auszug war nur halb so schlimm. Schlimm waren die Jahre davor. Denn als Ben in die Pubertät kam, als er begann sich zu lösen, als er quasi als Ableger anfing, eigene Wurzeln auszubilden, um unabhängig von mir leben zu können, begann ich zu leiden. Ich wurde unendlich traurig. Ich war niedergeschlagen und gereizt. Ich begriff die Veränderungen als den Anfang vom Ende – den Anfang von der Zeit, die mir zusammen mit meinem Sohn bleiben würde.
Empty-Nest-Syndrom: So nennt man die Gefühlslage von Eltern, die mit Trauer und Schmerz auf ein als leer empfundenes Haus blicken. Sie sind einsam, fühlen sich nicht mehr gebraucht. Diese Krise, die bei Frauen oft mit der Menopause zusammenfällt, führt bei manchen Eltern zu psychischen Erkrankungen.
Full-Nest-Syndrom: Wenn Kinder nicht ausziehen, weil sie es sich beispielsweise nicht leisten können, kann das zu psychischen Belastungen bei Eltern führen. Das verstärkt sich, wenn sie auch die eigenen Eltern pflegen müssen.
Empty-Nest-Wanderer: So heißen Menschen, die umziehen, nachdem ihre Kinder das Haus verlassen haben. Sie beginnen ein neues Leben. Oder ziehen in die Nähe der Kinder.
Boomerang Kids: Sind Kinder, die zurück ins Elternhaus ziehen.
Das hört sich an, als ginge es hier ums Sterben. Und genau so hat es sich angefühlt. Es hat sich angefühlt wie ein nicht zu umgehender Verlust. Das war völlig plemplem, völlig übertrieben, und doch war es Alltag. Das graue Gefühl von Verlust war in mein Leben geschlichen, hatte sich ausgebreitet und es sich bequem gemacht. Wie ein Gast, den man nicht mehr loswird. Wie Toni Erdmann, nur nicht in lustig.
Ich war erschrocken über diese extreme Gefühlslage, aus der ich sehr lange nicht herauskam, die jeden Blick auf das Kind bei den banalsten Tätigkeiten mit einem Schleier der Trauer überzog, denn es fühlte sich ja an, als sei alles bald für immer vorbei.
Eine Zeit lang dachte ich, ich wäre nicht ganz dicht. Ich hätte eine Psychomacke, die möglicherweise dringend behandlungsbedürftig sei. Das dachte ich so lange, bis ich andere Frauen traf, die auch so litten. Vielleicht fühlte es sich nicht für jede so an, als wohne sie der Chronik eines angekündigten Todes bei, bei manchen war die Traurigkeit nicht so umfassend. Aber etliche dieser Frauen litten ebenfalls wie Hund unter einem Umstand – das Kind wird erwachsen und löst sich –, den man relativ leicht rationalisieren – und, ganz wichtig – als notwendigen Verlauf begreifen kann.
Das tat auch ich. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass das alles genau so sein müsse. Dass das Kind so blöd sein müsse, um sich abzugrenzen, dass es seine und die Grenzen seiner Eltern austesten musste, um an diesen Erfahrungen zu wachsen. Auch war mir immer klar, dass die Kinder aus dem Haus müssen. Dass es nicht gut ist, wenn sie zu lang im Nest bleiben und dass man als Elternteil nicht den Fehler machen darf, sie länger als nötig halten zu wollen, nur weil man selbst mit ihrem Fortgehen ein Problem hat. Ich habe mir den Auszug nicht einmal schönreden müssen, indem ich auf die entstehenden Freiräume schaute, die Entfaltungsmöglichkeiten, den Platz, der in der Wohnung frei würde. Ich hatte immer das Gefühl, die Natur zu spüren, die es als Teil eines gesunden Prozesses eingerichtet hat, dass die Brut das Nest verlässt.
Und obwohl der Kopf auf dieser Ebene ganz anständig funktionierte, drehte der Teil, der die Tatsachen mit den Gefühlen verknüpfte, völlig durch. Die Rationalität wurde zu einer Insel in der Ferne. Ich lebte in dieser Zeit auf dem Trauer-Festland, das selbst an Tagen, an denen die Sonne schien, stets von der Gewissheit beherrscht war, dass am Abend schon die klamme Kälte wiederkäme.
Michelle Pfeiffer litt: „Die Leute machen viele Witze über das leere Nest. Ich sage euch, da gibt’s nichts zum Lachen. Es ist hart.“
Barack Obama hat jetzt schon Angst: „Mitten am Tag kommen mir die Tränen, und ich kann mir nicht erklären, warum. Was macht mich so traurig? Sie verlassen mich.“
Susan Sarandon freute sich: „Ich mag unser Nest, aber ich bin auch sehr gut darin, meine Kinder im Ausland zu besuchen. Ich bin so was von bereit für ein leeres Haus.“
Dustin Hoffman weinte in einem Interview: „Es sind die leeren Zimmer. Niemand warnt dich vor den leeren Zimmern.“
Ich versuchte das alles zusammenzubringen. Dieses Gefühlsdunkel in mir, einer getrennt erziehenden, immer berufstätigen Mutter, der es stets wichtig war, keine Kuchen-back-Mutter zu sein. Keine also, die durch das beständige Bereitstellen von Kuchen und Kürbissuppe im Kindergarten und auf Sommerfesten eine soziale Rolle finden will. Sondern eine eigenständige Frau, die ihren Beruf ebenso liebt wie ihr Kind, und die – auch weil sie mit einer Frau zusammen ist, was eine Beziehung mit gleicher „Wertigkeit“ ermöglicht – ihre Idealvorstellung eines emanzipierten Lebens lebt. Dennoch wurde ich zu einem hilflosen Emotionswrack, wenn ich an das Großwerden meines Sohnes dachte.
Ich habe versucht zu begreifen, woher das kommt. Weil mir klar war, das bin nicht nur ich, das sind auch etliche andere Frauen, habe ich geguckt, was habe ich mit ihnen gemein, was trennt uns? Was ist an der jetzigen Generation an Müttern anders als an denen davor? Warum hängen gerade wir so extrem durch?
Was ich fand, waren einige mehr oder weniger bedeutsame Einzelpunkte: die Freude am Muttersein, das gute Verhältnis zwischen Kindern und Eltern. Aber ich fand auch den einen großen. Den, der alles auszumachen scheint, die Besonderheit der Babyboomer, die bei den nachfolgenden Müttern schon Normalität sein wird: die Wechseljahre.
Anders als unsere Mütter, die meist mit Anfang, Mitte 20 ihre Kinder bekommen hatten und um die 40 waren, als wir auszogen, sind die jetzt vom Schmerz betroffenen Frauen älter. Ich war bei der Geburt von Ben 30. Heute, wo viele Frauen beim ersten Kind 35 oder älter sind, ist das geradezu „jung“. Durch das späte Mutterwerden treffen bei uns zwei schwierige Phasen aufeinander: Das Nest wird leer, und wir, die wir um die 50 sind, stecken in den Wechseljahren. Eine Zeit, die in ihrer allumfassenden Entwertung der Frau für sich genommen schon der Horror ist.
Während wir zusehen können, wie unser Körper ein anderer wird, und uns von derjenigen verabschieden müssen, die wir eben noch äußerlich waren, lösen sich unsere Kinder von uns. Die Wechseljahre sind auch eine Zeit, in der oft genug aus der Partnerschaft die Luft raus ist, in der wir durch das Flirtraster fallen und oft auch im Beruf in die zweite, die weniger sichtbare Reihe wandern. In diese Zeit hinein kracht der Meteorit Kind mit seinem unnachahmlich verächtlichen „Ey, geh mir nicht auf die Nerven!“. Oder damit, plötzlich kein Interesse mehr an dem zu haben, was eben noch das Gemeinsame war: Spiele spielen, Ausflüge, zusammen „Tatort“ gucken. Mit dieser Absage auf so vielen Ebenen werden wir der so verlässlichen Stütze des Gebrauchtwerdens beraubt. Und auch der eines geliebten Gegenübers.
Über Jahre, über fast zwei Jahrzehnte war die Funktion der Versorgerin, der Bekümmerin eine zuverlässige, und auch eine gute: Lief im Beruf alles schief, war der Partner ein Ärgernis, das Auto gerade kaputtgegangen, das Konto am Limit, so war da doch immer dieser eine Mensch, der sich total freute, wenn man ihm aus Fischstäbchen ein Haus auf den Teller legte. Und der diese Mühe belohnte, in dem er einen beim Insbettbringen ganz fest drückte und sagte „Ich hab dich lieb!“ und sich dann zufrieden zur Seite drehte und einschlief, einfach weil sein Leben gut und schön war, auch weil man da war.
Wenn alles um uns einkracht und sich verändert, wenn selbst das, was man am besten kennt, weil es schon das ganze Leben bei einem ist, der eigene Körper, beschließt, neue Wege zu gehen, deren Ausprägungen man auf keinen Fall gutheißen kann und die einen von sich selbst entfremden, wenn genau in diesem Moment dieses eben noch hinreißend süße Wesen sein neues Gesicht zeigt und sagt, man solle nicht nerven, dann ist das zum Schreien scheiße.
Ich wollte schreien. Ich fand es schwierig, den Schmerz für mich zu behalten. Ben nicht damit zu behelligen. Denn anders als in einer Liebesbeziehung, in der der andere sich trennt, kann ich meinem Kind keine Vorwürfe machen. Ich muss es hinnehmen, ohne böse zu sein, ohne es ihm nachzutragen. Damit klarzukommen, ist allein meine Aufgabe. Eine Aufgabe, die ich ehrlich gesagt oft nur so mittelgut bewältigt habe, weil meine Trauer mich gereizt sein ließ und ich blöd zu Ben war. Irgendwann habe ich ihm erzählt, dass die Situation schwierig für mich wäre, dass ich traurig sei, dass er bald groß sei und ginge. Er wollte das nicht so genau wissen. Aber es hat die Situation entspannt.
Mir war klar, dieses Gefühl muss raus. Und weil Schreiben mein Medium ist, war auch klar: Ich möchte das aufschreiben. Denn das ist ein weiterer Punkt, der die Situation so schwierig macht: Über dieses Leiden von Müttern (und zunehmend auch von Vätern) wird nicht gesprochen. Nicht einmal untereinander reden wir darüber und geben zu, wie sehr uns das Großwerden der Kinder beutelt und wie sehr uns die Wechseljahre in ihrem Entwertungskanon schmerzen.
So etwas aufzuschreiben birgt die Gefahr, peinlich zu werden. Allein, weil man sich so nackt macht. Ich habe mich damit getröstet, dass ja nicht nur ich mich so eigenartig verhalte und so empfinde, sondern Tausende von anderen Müttern (und Vätern) auch. Das Wissen um einen kollektiven Zustand ist hilfreich. Es rettet aus dem Gefühl der Isolation.
Auch hat es mir geholfen, dass ich mich im letzten Moment dann doch nicht so ernst nehme. Dass am Ende eines ernsten Gedankens meist eine Tür aufgeht, hinter der das absurde Moment oder die Beknacktheit des Gedankens aufflimmert. Etwa wenn ich auf einmal einer Mütter-Chat-Gemeinde angehören möchte. Oder meine, Bens letztes Schuljahr als mein letztes Mutter-Schuljahr begreifen zu müssen, und ein Tagebuch anfange, auf dessen Deckel ich schreibe: „Mein letztes Jahr“.
Das Schreiben hat etwas Überraschendes hervorgebracht: Mich hat eine große Wut gepackt. Wut war neben Trauer das bestimmende Gefühl. Die Auseinandersetzung mit der Entwertung, die wir Frauen in den Wechseljahren erfahren, und die bequeme Antwort der Ärzte, die uns im Sinne der Gesellschaft, in der niemand aufmucken soll, mit Hormonen (Gynäkologe) oder Antidepressiva (Allgemeinmediziner) „auf Spur“ hält, haben einen ungemeinen Zorn in mir wachsen lassen.
Ich sehe potenziell und theoretisch die Hälfte der Gesellschaft in einer extremen Umbruchphase, in einer Zeit elementarer Verunsicherung und Abwertung, in der unschöne Umstände aufeinandertreffen und die deshalb beknackter kaum sein könnte. Bei vielen Frauen kommt noch dazu, dass sie sich um die eigenen Eltern kümmern müssen.
Und alles, was es als Antwort gibt, sind Rezepte für Tabletten, damit wir einfach weitermachen. Dabei hätten wir alles Recht der Welt, laut „Scheiße!“ zu schreien. Wir hätten allen Grund zu fluchen, zu toben, uns in eine Erholungsklinik zu begeben. Was wir sollen, ist funktionieren. Und das bitte lautlos.
Ich habe neulich innerhalb von zwei Tagen von zwei Frauen mit Kindern aus meinem Bekanntenkreis gehört, die von ihren Anfang beziehungsweise Mitte 50-jährigen Männern wegen einer jeweils 30-Jährigen verlassen wurden. Der eine kam mit den Worten heim, er werde Vater.
Diese Möglichkeit, einfach noch mal von vorn anzufangen, noch mal eine Familie zu eröffnen, wie man eine Filiale eröffnet, nachdem der erste Laden uninteressant geworden ist, ist einer der wenigen Momente, um den ich Männer beneide. Ich hätte das auch gern. Einfach noch mal zuschlagen, bei null anfangen. Gerade so, als hätte es das erste Leben nicht gegeben.
Aber es ist nicht nur so, dass uns das nicht möglich ist. Dass wir mit 50 nicht einfach noch mal eine neue Riege Kinder in die Welt setzen können. Nein, uns Frauen bleibt nicht viel anderes übrig, als auf das Ende einer Lebensphase und eventuell eines Lebensmodells zu schauen, das durch das Großwerden unserer Kinder und deren Auszug verkörpert wird. Uns bleibt die Frage: „Und nun?“ Wenn wir Glück haben, finden wir darauf eine gute Antwort. Neuanfang, alles Alte über den Haufen werfen, scheint als Möglichkeit allerdings weniger vorgesehen, wenn man sich auf den Internetseiten der Pharmaindustrie umguckt. Die Wandlung zum Mangelwesen ist hier das Thema. Nicht die zu einer Frau, die aufbricht.
Tatsächlich sind die Wechseljahre in wohl kaum einer anderen Kultur so negativ besetzt wie in der westlichen, wo die Pharmaindustrie einen der maßgeblichen Industriezweige stellt. In anderen Gesellschaften sind zum Teil nicht nur unsere gängigen Beschwerden unbekannt, es erwächst den Frauen mit den Wechseljahren auch eine bedeutsame gesellschaftliche Stellung, etwa indem sie in den Ältestenrat des Dorfes aufgenommen werden. Wir hingegen können froh sein, dass wir – nachdem wir unsere elementare Funktion des Kinderbekommens verloren haben – nicht notgeschlachtet werden.
Die Wut ist ein guter Motor. Ich bin wütend auf das verächtliche Frauenbild und die vermaledeite Pharmaindustrie, deren Produkte sicherlich im Zweifelsfall helfen können, die Situation erträglicher zu machen, die es aber mit Hilfe der Ärztinnen und Ärzte und der Presse geschafft hat, einen normalen biologischen Prozess zum Mangelszenario umzudefinieren. Und diesen Prozess mit Horrorvisionen und -bildern belegt, die jeder Frau den Spaß am Frausein nehmen. „Fliegende Hitze, Zyklusschwankungen, Depressionen: In den Wechseljahren plagen zahlreiche Beschwerden etwa zwei Drittel der Frauen, von denen wiederum die Hälfte an starken, behandlungsbedürftigen Symptomen leidet“, flötet ein Gesundheitsportal im Netz vor sich hin und benennt 22 „Symptome“ von Konzentrationsstörungen über schlechte Laune bis hin zur Scheidentrockenheit, die schmerzfreien Geschlechtsverkehr unmöglich macht.
Vielleicht gründe ich eines Tages einen Verein zur Radikalisierung von Frauen über 50 und rufe zu Boykotten auf. Gemeinsam würden wir das Bild der Frau jenseits der Fruchtbarkeit umkrempeln. Unsere Sexualität, die Schönheit unserer Falten würde den Leuten auf Plakaten um die Ohren gehauen, und vielleicht würde sich eine Mitstreiterin finden, die wie Nina Hagen 1979 in der Talkshow vormacht, wie weibliche Selbstbefriedigung geht – dieses Mal jenseits der Knackarschjahre. Nicht dass Selbstbefriedigung altersabhängig wäre, aber die Kombination von Frauen, Sex und Schrumpelhaut scheint noch nicht ganz in der Gesellschaft angekommen.
Es gäbe viel zu tun. Und jetzt, da das Kind ausgezogen ist und niemand mehr bekümmert werden muss, der nicht auch selbst für sich sorgen könnte, wäre genügend Zeit. Und Energie. Irgendwo muss die ja hin. Und mein Sohn braucht sie nicht mehr. Der lebt mit zwei Mädels in einer WG, in einem abgeranzten Haus über einer geruchsintensiven Schlachterei Namens „Nurhak“, und wenn ich ihn frage, ob er mal zum Essen vorbeikommt, dann passt es in zwei Wochen. Immerhin aber bin auch ich so weit – Mutterliebe hin, Mutterliebe her –, meine Energie gezielt einzusetzen: Letzte Woche rief Ben an und fragte, ob ich wisse, ob er noch eine Bahn-Card habe. Und anstatt wie früher alles durchzusuchen oder gegebenenfalls bei der Bahn nachzufragen, sagte ich: „Du hast deine Sachen eingepackt. Das musst du wissen.“
Stephanie F. Scholz, 33, freie Illustratorin in Berlin, ist das jüngste von vier Kindern. Als sie auszog, waren ihre Eltern schon erprobt im Gehenlassen
Silke Burmester ist freie Journalistin in Hamburg. Sie zog mit 19 zu Hause aus, nach Düsseldorf. Die Ratinger Straße war nah, Mitte der 80er nicht das Schlechteste. Ihr Buch „Mutterblues: Mein Kind wird erwachsen, und was werde ich?“ erschien in diesem Monat bei Kiepenheuer & Witsch
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