Terrorwarnungen in Braunschweig: Die Zeit der Trittbrettfahrer
Die Anschlagsdrohung gegen mehrere Braunschweiger Schulen zeigt: Politik, Polizei und Medien stehen Internetwarnungen ziemlich machtlos gegenüber
Es ist die Zeit der Nachahmer. Nach den Anschlägen und Amokläufen von Paris und Nizza, München und Ansbach herrscht Terrorangst. Das heißt aber auch: Trittbrettfahrer haben – wie am Montag in Niedersachsen – Hochkonjunktur.
Bei neun Schulen sowie im Fachbereich Schule der Braunschweiger Stadtverwaltung waren am frühen Montagmorgen per E-Mail mehrere Anschlagsdrohungen eingegangen. Die Leiter der betroffenen Schulen entschieden, den Unterricht ausfallen zu lassen. 7.000 Schüler und ihre Lehrer wurden nach Hause geschickt, vor den Schulen fuhren Streifenwagen der Polizei auf. Um 13.12 Uhr erklärte die Polizei den Einsatz an den Schulen für beendet. Am Flughafen Hannover, wo eine vergleichbare Mail einging, blieb die Drohung ohne Konsequenz.
Die Spezialisten des Landeskriminalamts und des Staatsschutzes hatten die Texte der Anschlagsdrohungen analysiert und waren schnell zu dem Schluss gekommen, dass die in schlechtem Deutsch formulierten Drohungen nicht ernst zu nehmen seinen. Zu unprofessionell. Doch ganz sicher waren sich die Spezialisten nicht. Wie auch?
Seit immer mehr radikalisierte Einzeltäter auftauchen, die keinen direkten Bezug und auch keine Kontakte zu Terrororganisationen haben, taugen die bisherigen Echtheitskriterien bei Droh- und Bekennerschreiben nur noch bedingt.
Die Bekennerschreiben jeder Organisation haben vergleichbare stilistische Merkmale, die von radikalisierten Individuen, die nur einmal in Erscheinung treten, nicht. Im Zweifelsfall gilt: Lieber einmal mehr als einmal zu wenig evakuieren. Doch genau das beschert den anonymen Anschlagsdrohern ihr Erfolgserlebnis – und zieht wiederum Nachahmer an.
„Für manchen labilen Täter sind die Berichte über Terroranschläge und Gewalt ein Signal und eine Möglichkeit, aus der subjektiv empfundenen Bedeutungslosigkeit herauszukommen, im Mittelpunkt zu stehen und berühmt zu werden“, erklärt der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer und fügt hinzu: „Die mediale Berichterstattung über Gewalttaten und Anschläge kann zu einem Ansteckungseffekt führen. Da gibt es brutale Trittbrettfahrer“.
Und gegen Trittbrettfahrer gibt es kein Rezept: Zwar kündigten viele Bundesländer, darunter auch Niedersachsen, an, die Verursacher von Fehleinsätzen der Polizei mit Kosten in Höhe von bis zu 10.000 Euro zu belegen und auch strafrechtlich hart zu belangen – bis zu drei Jahre Haft sind theoretisch möglich.
Doch das schreckt nicht alle Nachahmer ab. Wie andere Täter, die ihre Straftat planen, gehen auch sie in der Regel davon aus, nicht erwischt zu werden. Und wenn, wie jetzt in Braunschweig, die IP-Adresse professionell verschleiert wird, haben die Ermittlungsbehörden tatsächlich große Probleme, den Vortäuschern einer Straftat auf die Spur zu kommen. „Eine konkrete Spur gibt es derzeit nicht“, räumt auch der Braunschweiger Polizeisprecher Joachim Grande ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!