: Kosmopolitisches aus Polen
POLSKI Zur Zeit sind in norddeutschen Kinos neue Spielfilme aus Polen zu sehen- alle im Original mit Untertiteln. Darunter „Elles – Das bessere Leben“ von Magorzata Szumowska
VON GASTON KIRSCHE
Seit 30 Jahren organisiert Grayna Somka Filmvorführungen. Zuerst in einem Kino in Polen. Seit sie 1997 nach Langenhagen zog, in den Kommunalen Kinos Norddeutschlands. Es begann mit einer vielbeachteten Retrospektive des polnischen Filmes in Hannover. Derzeit zeigt sie monatlich je einmal in den Kommunalen Kinos Lübecks, Hannovers und Hamburgs – dem Metropolis – eine aktuelle polnische Produktion. Aus Polen kommen mittlerweile wieder etwa 45 Langfilme pro Jahr. Grayna Somka wählt aus, was sie am interessantesten findet.
Grayna Somka baut mit ihrem Filmprogramm eine Brücke, über die gehen kann, wer sich mit Polen auseinandersetzen will. Sei es, weil er/sie von dort kommt – alle Filme laufen in Originalfassung, wenngleich mit Untertiteln –, sei es, weil Polen eben nicht weiter weg liegt als Frankreich und es interessant ist, dieses Kernland Mitteleuropas durch seine Filmproduktion kennenzulernen. Grayna Somka betont: „Für uns Polen, die in Deutschland leben, ist es besonders wichtig, durch die Präsentation der Kunst und das Gespräch die gegenseitigen Vorurteile und Klischees zu beseitigen.“
Die Entstaatlichung und Vermarktwirtschaftlichung der Filmproduktion hat dabei viele sehr kommerzielle Produktionen befördert – aber nicht nur. In polnischen Kinos haben auch anspruchsvollere Spielfilme eine Chance, die mit kleinem Budget realisiert wurden. Und die landen auch im „Filmland Polen“. Zu sehen gibt es sowohl Erstlingsfilme als auch die neuesten Filme von in Polen bekannten Regisseuren, die eigenwillig und originell etwas Bewegendes erzählen.
Wie „Baby s jakie inne“, eine Komödie von Marek Koterski. „Frauen sind irgendwie anders“, so der deutsche Titel, ist fast eine Art Kammerspiel. Zwei Männer im mittleren Alter fahren mehr oder wenige ziellos durch die Nacht und treffen dabei auf: Frauen. Als plötzlich eine Gruppe junger Frauen in die Toilettenräume der Tankstelle eindringt, bleibt dem Fahrer nur ein schreckstarrer Blick in den Spiegel überm Waschbecken. Die Gags sind, nun ja, nicht besonders tiefsinnig, aber Kameramann Jerzy Zieliski hat atmosphärisch dichte Bilder eingefangen. Durch das ständige Halbdunkel in ihrem Ford Fiesta bekommen die Gesichter der beiden Männer etwas Rätselhaftes, Kryptisches. Bizarr wirkt ihr Männerdialog, aus einer Welt so fremd wie der Tresen einer Eckkneipe.
Aber auch Regisseurinnen sind im Filmland Polen erfreulich stark vertreten. Insbesondere bei dem jetzt im Dezember und im Januar in Hannover und Hamburg laufenden Zusatzprogramm „Kosmopoliten“. Acht internationale Produktionen, an denen mit Polen verbundene RegisseurInnen beteiligt sind, gibt es zu sehen, darunter fünf Filme von Frauen.
Von Agnieszka Holland, bekannt durch „Hitlerjunge Salomon“, läuft im Januar ihr neuer Film „Im Dunklen“: Der spielt 1943 im von Deutschen besetzten Lemberg. Ein Kanalarbeiter versteckt 14 Monate lang eine Gruppe jüdischer Ghettoflüchtlinge dort, wo er sich auskennt.
Von zwei jüngeren Regisseurinnen, die mit Dokumentarfilmen begonnen haben, gibt es im Dezember ebenso bewegende wie sozialkritische Spielfilme zu sehen: In „Dwa Ognie“, „Zwei Feuer“, flieht eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter aus Weißrussland. Denn dort floriert zunehmend gewalttätig der profitable Kinderhandel. Regisseurin Agnieszka Ukasiak lässt Mutter und Tochter dorthin fliehen, wohin sie selbst mit sechs Jahren kam: nach Schweden. Agnieszka Ukasiak zeigt ungeschönt die staatlichen Schikanen, den Abschiebedruck, denen sie in Schweden ausgesetzt sind. Untergebracht ganz im Norden in einer Flüchtlingsunterkunft, dort, wo weit und breit nur Schnee liegt. Unwirtlich, gefährlich. Die Kamera von Hubert Taczanowski bebildert so den Druck und die Einsamkeit der Geflüchteten. Magorzata Szumowska, deren Spielfilmdebüt „Glücklicher Mensch“ 2003 auch im „Filmland Polen“ lief, hat eine vielbeachtete polnisch-französisch-deutsche Koproduktion vorgelegt, die ebenfalls zu Recht in der Reihe „Kosmopoliten“ läuft – behandelt sie doch auch ein universelles Problem. In „Elles – Das bessere Leben“ macht sich eine durch ihre Ehe wohlsituierte Journalistin in Paris auf zu einer Artikelrecherche über Studentinnen, die als Prostituierte arbeiten. Die anfangs paternalistische Journalistin – hervorragend gespielt von Juliette Binoche – stellt zunehmend irritiert fest, dass sich ihre Interviewpartnerinnen nicht aus purer Not prostituieren, sondern um sich – neben ihrem Lebensunterhalt – auch einen gewissen Konsumstandard leisten zu können. So ist es wie eine Befreiung aus den patriarchalen Fesseln der Familie, der Moral, der schlecht bezahlten Frauenminijobs in die ebenso patriarchaler Logik folgenden Selbstvermarktung ihrer Körper, ihrer Sexualität.
Magorzata Szumowska lässt Juliette Binoche zu ihrem überaus erfolgreichen Ehemann sagen: „Für euch Männer sind doch alle Frauen Nutten.“ Und ihre Arbeit als Journalistin – ist dass nicht auch etwas Prostitution? Und die zunehmende Vermarktung des weiblichen Körpers in Werbung und Marketing lässt es zunehmend normal erscheinen, auch den eigenen Körper zu verkaufen. Der polnische Filmtitel kommt dieser These der Regisseurin näher als der deutsche: „Sponsoring“.
„Frauen sind irgendwie anders“ läuft am Sa, 15. 12.,17.00 im KoKi Hannover. Termine der Reihe „Kosmopoliten: www.filmlandpolen.de
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