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Schaut auf diese Stadt

Berlinpanorama In der Filminstallation „Manifesto“ kann man eine chamäleonhaft sich wandelnde Cate Blanchett bewundern. Dazu zeigt sich die im Hamburger Bahnhof präsentierte Arbeit von Julian Rosefeldt als ein experimentelles Porträt von Berlin

Hollywood-Prominenz hinterm Zottelbart: Cate Blanchett auf dem Teufelsberg in Julian Rosefeldts Filminstallation „Manifesto“ Foto: Julian Rosefeldt, VG Bild-Kunst

von Claudius Prößer

Langsam folgt die Kamera der in Lumpen gehüllten Figur, die einen Einkaufskarren zieht und einen zotteligen Hund an der Leine führt. Der Obdachlose stolpert durch eine industrielle Ruinenlandschaft und erklimmt schließlich ein paar Stufen zu einer Betonplattform, wo er sich in einer zerfetzten kugelförmigen Konstruktion einen Verschlag eingerichtet hat. Spätestens als er, mit einem Megafon bewaffnet, an den Rand der Plattform tritt, um kaum Verständliches in die weite, graue Landschaft zu schreien, erschließt sich der Ort: Es ist die alte US-Spionagestation auf dem Teufelsberg, unten liegt dunkel der Grunewald.

Dass unter der Maske des Obdachlosen mit dem Zottelbart die australische Hollywood-Schauspielerin Cate Blanchett steckt, erkennt man frühestens auf den zweiten Blick, aber man weiß es schon, wenn man vor dem Video steht. Denn es ist eine von insgesamt zwölf in einem dunklen Raum parallel projizierten Filmsequenzen, in denen immer wieder Blanchett in völlig unterschiedliche Rollen schlüpft: Grundschullehrerin, Müllarbeiterin, Galeristin, Trauerrednerin, Börsenmaklerin. Dabei rezitiert sie Texte, die mit den dargestellten Situation scheinbar nichts zu tun haben: künstlerische Manifeste des 20. Jahrhunderts, von Dada bis Dogma, von Futurismus bis Fluxus. Das ist so befremdlich wie faszinierend, manchmal auch einfach komisch.

„Manifesto“, die Filminstallation des Künstlers Julian Rosefeldt, ist seit Februar im Hamburger Bahnhof zu sehen. Aufgrund des großen Andrangs wurde sie bis zum 18. September verlängert. Wer visuelle und intellektuelle Experimente liebt, wer die faszinierend chamäleonhafte Blanchett bewundern möchte, aber auch wer ein Berlin-Panorama erleben will, das so nur selten auf einer Leinwand zu sehen ist, sollte die letzten Wochen nutzen. Denn alle Kurzfilme wurden während zweier Winterwochen in Berlin gedreht.

Wie die Kamera minutenlang durch das aufgegebene Fabrikgelände schwebt, das dann in voller künstlerischer Freiheit direkt an den Teufelsberg grenzt, so etwas war wohl zuletzt in den Anfangssequenzen des Wenders-Film „Der Himmel über Berlin“ zu sehen. Eine exquisite, ja erhabene Trostlosigkeit liegt über diesen urbanen Panoramen. Ebenso weit und grau, aber in einen komplett unterschiedlichen Kontext gebettet, ist die Havellandschaft, vor der auf einer ausladenden Terrasse gut gekleidete Menschen ihre Zigaretten aufrauchen. Die Kamera zieht sich derweil langsam durch ein riesiges Fenster ins Innere einer Villa zurück, wo eine strahlende Blanchett gleich eine Vernissage eröffnen wird.

Der Teufelsberg als Platz auch für Kunst

Der am nördlichen Rand des Grunewalds gelegene Teufelsberg ist mit 120,1 Metern die zweithöchste Erhebung in Berlin. Der Berg bietet aber nicht nur eine großartige Sicht über die Stadt: Hier befinden sich die Bauten der einstigen Abhörstation „Field Station Berlin“ der westlichen Alliierten aus dem Kalten Krieg, die jetzt auch der in Berlin lebende Künstler Julian Rosefeldt für seine „Manifesto“-Filminstallation als Schauplatz genutzt hat.

In den 90ern verkaufte der Berliner Senat die ehemalige Abhörstation an private Investoren, deren Bebauungspläne aber scheiterten. Seit 2006 ist das Gelände als Wald ausgewiesen und darf daher nicht mehr bebaut werden.

Im September 2015 übernahm ein neuer Pächter, Marvin Schütte, den Teufelsberg. Er bietet Führungen durch das Gelände an. In den Räumlichkeiten der Abhörstation ist dazu eine Street-Art-Galerie entstanden. (taz)

Im Gegensatz zu der unbenannt bleibenden Villa lassen sich viele andere Drehorte mehr oder weniger leicht verorten. Der „Sozialpalast“ an der Schöneberger Pallasstraße, der Innenhof des Ludwig-Erhard-Hauses an der Fasanenstraße, der Stahnsdorfer Südwestfriedhof, die Metropolitan School in der Torstraße oder der Müllbunker der BSR in der Gradestraße – eine selbst schon expressionistisch anmutende Abfallkathedrale, in der Blanchett von einer kleinen Glaskanzel aus den Greifarm bedienen darf.

Auch bei den anderen Interieurs handelt es sich um authentische Orte: die Bühne des Friedrichstadtpalasts. Das Funkhaus Nalepastraße. Das ZDF-Hauptstadtstudio. Sie werden nicht auf anheischende Art in Szene gesetzt wie in einem Berlin-„Tatort“ oder irgendeiner Hauptstadt-Doku, sie sind in ihrer optischen Großartigkeit völlig funktional für die erzählten Miniaturen. Wobei Rosefeldt durchaus auch mal trickst: Erst nach längerem Hinsehen wird offensichtlich, dass es sich bei dem vermeintlichen Börsensaal, der sich im Kamera­schwenk fast schon absurd terrassenartig öffnet, in Wirklichkeit um das Grimm-Zentrum, die Bibliothek der Humboldt-Universität, handelt.

Ja, Berlin sieht immer noch großartig aus. Aber es braucht manchmal jemanden wie Rosefeldt, um der Stadt den ihr angemessenen Spiegel vorzuhalten.

„Manifesto“, bis 18. September im Hamburger Bahnhof

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