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„Das Musicboard konkurriert mit sich“

Off gegen Pop Das Musicboard bekommt Förderung vom Land und der EU für das Pop-Kultur-Festival. Ist doch super, oder? Nein, sagen Michael Aniser und Anton Teichmann. Sie organisieren das Gegenfestival Off-Kultur

Michael Aniser (l.) und Anton Teichmann sind enttäuscht vom Line-up der Pop-Kultur. Sie vermissen den wirklichen Neukölln-Bezug Foto: Karsten Thielker

Interview Andreas Hartmann

Im Berghain fand im vergangenen Jahr erstmals das Pop-Kultur-Festival statt. Es ist der Nachfolger der Berlin Music Week, einem Branchentreff mit Entertainmentprogramm, der nie richtig funktionierte. Der Senat hat die Gestaltung des Pop-Kultur-Festivals dem Berliner Musicboard übergeben, das nun zum zweiten Mal den Event ausrichtet. Dieses Mal an verschiedenen Orten in Neukölln. In Gesprächen und Konzerten sollen sich Menschen aus der Branche und Hörer ernsthaft über den Stand der Dinge in Sachen Pop auseinandersetzen. Außerdem soll der Nachwuchs eine Chance bekommen und – in diesem Jahr – Neuköllns Szene beleuchtet werden. Die Macher des nun erstmals stattfindenden Neuköllner Festivals Off-Kultur finden jedoch, was Pop-Kultur im Sinn hat, könne man besser machen.

taz: Herr Aniser, Herr Teichmann, das Motto des diesjährigen Pop-Kultur-Festivals ist „Neukölln“. Deswegen wird Pop-Kultur an Veranstaltungsorten in Neukölln stattfinden. Sie planen eine Gegenveranstaltung, das Off-Kultur-Festival, auch in Neukölln. Warum?

Michael Aniser: Erst mal ist uns das Booking des Pop-Kultur-Festivals zu beliebig. Pop-Kultur ist als Nachfolger der ungeliebten Berlin Music Week mit dem Anspruch gestartet, es besser als der Vorläufer zu machen. Aber jetzt hat man da dasselbe in Grün. Für ein Festival, das sich explizit in Neukölln ansiedelt, ist uns bei Pop-Kultur zu wenig echter Neukölln-Bezug gegeben.

Anton Teichmann: Neukölln ist der Bezirk, in dem wir beide leben und wo wir mit sehr vielen Künstlern und Künstlerinnen zusammenarbeiten oder diese zumindest kennen. Als das Programm des Pop-Kultur-Festivals veröffentlicht wurde, haben wir uns gefragt, wo diese Künstler und Künstlerinnen denn sind, wenn man sich schon so groß den Bezug auf Neukölln in die Marketingkampagne einbaut. Bei uns kam der Verdacht auf, dass man entweder kein Interesse hat, sich wirklich mit der lokalen Neuköllner Szene auseinanderzusetzen, oder man es einfach nur verpasst hat, dies zu tun.

Im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals, auf dem international bekannte Acts von Thurston Moore bis Matthew Herbert auftreten, gibt es ein Nachwuchsprogramm.

Anton Teichmann: Bei diesem bewerben sich junge Menschen, um sich von Älteren etwas anhören zu dürfen, in sogenannten Workshops. Meiner Meinung nach sollte man diese jungen Musiker lieber auf die Bühne stellen. Auf mich wirkt dieses Coaching eher paternalistisch.

Hey, Neuköllner Kids, lernt erst mal von den Großen, bevor ihr es selbst versucht?

Anton Teichmann: Wir hätten einfach gedacht, dass ein Festival, das vom Musicboard veranstaltet wird, dessen Aufgabe laut Statuten auch ist, die Berliner Szene zu unterstützen, diese Szene auch wirklich ansatzweise abbildet, aber das sehen wir überhaupt nicht. Von den um die siebzig Live-Acts, die bei Pop-Kultur spielen, sind ungefähr siebzehn aus Berlin, was ein mickriger Schnitt ist, auch verglichen mit anderen Berliner Festivals, die das viel besser hinbekommen als das komplett durchgeförderte Pop-Kultur-Festival.

Michael Aniser: Mir kommt es so vor, als habe man das Berghain als Veranstaltungsort im letzten Jahr als ziemlich gute Promotion benutzt, und nun hat man sich eben einfach das nächste große Thema ausgesucht, wo man sich medienwirksam draufsetzen kann, den Hype um Neukölln.

Nur Neuköllner Acts, das würde doch etwas provinziell wirken für ein Festival, das als Nachfolger des Branchentreffs Berlin Music Week auch den Popstandort Berlin international repräsentieren soll, meinen Sie nicht?

Anton Teichmann: Klar, man kann so ein Festival nicht veranstalten ohne ein paar interna­tio­nal bekannte Headliner. Aber nicht einmal da hat man es geschafft, eine gute Mischung hinzubekommen: ein paar große internationale Acts, die dann die kleineren aus Berlin mitziehen. Die meisten Bands, die bei Pop-Kultur auftreten, sind ein ganz normaler Teil des Konzertmarkts; das sind Bands, die eh, vielleicht sogar genau zu dieser Zeit, in Berlin auftreten würden. Damit schafft sich die Stadt einfach nur einen weiteren Teilnehmer auf dem Markt der Konzertveranstalter und nimmt anderen, kleineren DIY-Agenturen, die Acts weg.

Neben dem Programm ist es ist also auch ein strukturelles Problem, das Sie kritisieren.

Off vs. Pop

Anton Teichmann ist DJ und Booker, Michael Aniser leitet das Label Noisekölln Tapes. Gemeinsam haben sie das Festival Off-Kultur ins Leben gerufen, als Reaktion auf das große, mit öffentlichen Geldern finanzierte Popkultur-Festival, das in diesem Jahr, genau wie Off-Kultur, vom 31. 8. bis 2. 9. an verschiedenen Orten in Neukölln stattfinden wird. Off-Kultur will das echte Neukölln zeigen und wird an Locations wie Das Gift, der finalen Sportbar und im Ficken 3000 stattfinden. Musikalisch wird alles Mögliche zwischen Neo-Trance und Punk geboten – von Acts wie Ringostarwars, Girlie, Fun Fare und vielen mehr.

Anton Teichmann: Absolut. Ich finde das Musicboard eigentlich nicht schlecht. Dass es Nachwuchskünstlern Geld gibt, um sich von den Marktzwängen zu befreien, ist eine tolle Sache. Schwierig wird es, wenn das Musicboard, das Festivalförderungen vergibt, unter anderem für wunderbare Festivals wie das Torstraßenfestival oder Down by the River, gleichzeitig selbst ein Festival veranstaltet. Dadurch tritt es in Konkurrenz zu sich selbst, und es stellt sich dann irgendwann die Frage, nach welchen Kriterien eigentlich andere Festivals gefördert werden, wenn man selbst ein Teilnehmer auf diesem Markt ist.

Das Musicboard hat aber um die 700.000 Euro eben dafür bekommen, ein Event wie Pop-Kultur zu veranstalten.

Anton Teichmann: Das stimmt, die Fördertöpfe bestehen aus EU-Geldern und Mitteln vom Land Berlin, es sind die gleichen Fördertöpfe, die es bereits für die Berlin Music Week gab. Diese Gelder sind auch gebunden an die Veranstaltung eines Events und können nicht einfach verteilt werden. Aber das Programm, Branchenvertreter zum Festival eigens einfliegen zu lassen, wird wiederum aus dem direkten Etat des Musicboards bezahlt und nicht aus den Fördertöpfen.

Sie haben auch schon Förderungen vom Musicboard bekommen und als Freier auch indirekt dafür gearbeitet, Herr Teichmann. Beißen Sie nicht gerade die Hand, von der Sie hoffen, dass sie Sie auch mal wieder füttert?

Anton Teichmann: Die Gefahr besteht natürlich. Aber es wäre doch traurig, wenn man Angst vor Sanktionen einer staatlichen Institution haben müsste, wenn man Kritik äußert.

Gab es denn Reaktionen vom Musicboard auf Ihr Festival?

Anton Teichmann: Es gab einen Anruf von Musicboard-Chefin Katja Lucker. Wir hatten dann ein Meeting mit Vertretern des Musicboards.

Und wie war es?

Anton Teichmann: Ich sag mal: Es war schwierig.

Fühlt sich das Musicboard von Ihnen angegangen?

„Wir würden uns eher ungern vereinnahmen lassen“

Anton Teichmann

Anton Teichmann: Schwer zu sagen, ich kann es nicht richtig einschätzen. Im Gespräch habe ich mich jedenfalls nicht so richtig ernstgenommen gefühlt. Unsere Kritik, das wurde uns vermittelt, sei nicht legitim.

Sie könnten immer noch zum Neuköllner Off-Pop-Kultur-Festival fusionieren.

Anton Teichmann: Wir würden uns eher ungern vereinnahmen lassen, wenn wir schon versuchen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen

Wenn nun alle zu Off-Kultur rennen und Kulturstaatssekretär Tim Renner das Musicboard rüffeln würde?

Anton Teichmann: Dann wäre das nicht unsere Schuld.

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