Ökonom über europäische Banken: „Das Geldsystem ist in einer Krise“
Die EZB lässt Risiken nicht bewerten, die sie selbst auslöst, sagt Ökonom Rudolf Hickel. Insofern sei der Stresstest kein Beleg für Bankenstabilität.
taz: Herr Hickel, nach dem Stresstest für Banken, bei dem die Europäische Bankenaufsicht eine Krise simuliert hat, klopft sich die Branche auf die Schulter. Sie sieht die Ergebnisse als Beleg für ihre Stabilität. Zu Recht?
Rudolf Hickel: Nein. Der Stresstest ist kein Beleg für die Stabilität des europäischen Bankensystems. Ganz im Gegenteil. Er erfasst Risiken etwa aus Spekulationsgeschäften nicht. Denn es wurde nur gemessen, welche Auswirkungen eine schwere Krise auf das Eigenkapital der Banken hat. Das Eigenkapital ist der Puffer, mit dem eine Bank schwere Verluste, etwa durch faule Kredite, finanzieren soll. Da ist bis auf einige Abweichler die Gesamtlage einigermaßen stabil. Aber die brandgefährlichen Systemrisiken der Banken werden nicht erfasst.
Zu den Ausreißern gehört die Deutsche Bank.
Dass die Deutsche Bank Probleme wegen teils krimineller Machenschaften hohe Belastungen hat, wissen wir, dafür brauchen wir keinen Stresstest. Die Bank braucht Schätzungen zufolge zwischen 2,5 und 10 Milliarden Euro mehr Eigenkapital, um gegen eine schwere Krise gewappnet zu sein. Aber das ist nicht das einzige Problem. Der IWF hat die Deutsche Bank als gefährlichste Bank der Welt bezeichnet – und zwar wegen ihrer internationalen Vernetzung. Wenn diese Bank zusammenbricht, geht es nicht nur um ihr Eigenkapital, sondern um den Dominoeffekt, mit dem sie andere in den Abgrund reißt.
Was ist das größte Risiko für das europäische Bankensystem?
Das sind die anhaltend niedrigen Zinsen. Durch sie droht das Geschäftsmodell der Sparkassen und Volksbanken zusammenzubrechen.
74, ist Wirtschaftswissenschaftler und hat lange an der Universität Bremen gelehrt. Der Ökonom ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und als Sachverständiger des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag tätig.
Warum merken die Kunden nichts von den niedrigen Zinsen?
Weil die Banken die billige Liquidität nicht komplett weitergeben. Das größte Risiko der Banken besteht darin, dass sie im Geld ersaufen und nicht wissen, wo sie es anlegen sollen. Das Geschäftsmodell, einerseits Kredite für Zinsen zu vergeben und andererseits Einlagen anzunehmen und zu verzinsen, ist hochgradig gefährdet. Das wird in dem Stresstest nicht berücksichtigt. Den Stresstest hat die Europäische Bankenaufsicht durchgeführt. Sie arbeitet eng mit der Aufsicht bei der Europäischen Zentralbank, der EZB, zusammen, die für die Niedrigzinspolitik verantwortlich ist. Mein Verdacht ist: Die EZB hat an der Bewertung der Risiken, die sie selbst auslöst, überhaupt kein Interesse.
Ist das Ersparte der Kunden gefährdet?
Ja. Wir werden in Deutschland zwar keine großen Bankenzusammenbrüche erleben, aber Kunden müssen damit rechnen, auf ihre hohe Einlagen Strafzinsen zahlen zu müssen. Das gesamte Geldsystem ist in einer schweren Krise. Geld fließt viel zu wenig in die Finanzierung von sinnvollen Investitionen.
Leser*innenkommentare
Vlado Plaga
Welche Bank sollte SPAR-Einlagen mit Kündigungsfrist, aus denen sie günstig Kredite vergeben kann, mit einem 'Strafzins' belegen? Die Negativzinsen der EZB treffen Zentralbankgeld, also Liquidität. Diese Liquidität ist übrigens das, was Spekulanten brauchen! Ich empfehle einen Blick auf den Wikipedia-Artikel "Zinsstrukturkurve".
Sehr schade, dass ein Attac-Ökonom _höhere_ Zinsen fordert... offenbar kann er sich die sinnvollere Lösung von noch niedrigeren Zinsen auf Liquidität, also z.B. -5% p.a., nicht vorstellen. Details dazu gibt es bei geldreform.eu . Wem nutzen aber höhere Zinsen vor allem? Den reichsten 10%, die den Großteil von Geld- und anderen Vermögen besitzen. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung, für die Attac eigentlich kämpfen sollte, besitzt sowieso de facto so gut wie keine Ersparnisse und kann von niedrigen Zinsen nur profitieren (Arbeitsplatzsicherheit, höhere Kaufkraft, günstigere Kredite).
APOKALYPTIKER
"Das gesamte Geldsystem ist in einer schweren Krise. Geld fließt viel zu wenig in die Finanzierung von sinnvollen Investitionen."
Er weiß es wohl , will (kann , darf ?) es aber nicht sagen : Nicht nur das Geldsystem , das ganze kapitalistische System der Warenwirtschaft ist in der Krise . Und in d e m geht es n i c h t um "sinnvolle Investitionen" , sondern nur und ausschließlich um p r o f i t a b l e , - bei Strafe der Insolvenz für jedes Unternehmen.
Wenn der Staat die sicher sinnvollen Investitionen z.B. für die Sanierung von Brücken und Straßen unterläßt oder aufschiebt , deren Finanzierung nur durch weiteres Gelddrucken möglich wäre , geht es a u c h um die Rettung des Geldsystems , ...und um die des Gesamtsystems .
No way out ...
Gabriel Renoir
@APOKALYPTIKER Probleme gibt es. Im Leben geht manches daneben. Aber, lieber Leserbriefschreiber: Vorschläge, die von den großen Nationen mitgetragen werden, zB China?
Rainer B.
Krisen sind gewöhnlich "Chefsache". Wahrscheinlich ist das auch schon der Grund für ständig neue Krisen.