: Rascheln statt Rauschen
Originaltöne zwischen Buchdeckeln: Inge Buck stellt heute ihre niedergeschriebenen „Hörbilder“ vor
Als Inge Buck ihre „Hörbilder“ für Radio Bremen zu produzieren begann, vor sieben Jahren, gründete sich zufällig auch die „Edition Lumière“. Ein Verlag, angedockt an das Presseforschungsinstitut der Universität Bremen, der sich der europäischen Aufklärung verpflichtet sieht. Mittlerweile hat der Buck’sche Sendeplatz beim Nordwest-Radio die Hälfte seiner früheren Länge (55 Minuten) eingebüßt, dafür erscheinen die „Hörbilder“ jetzt als Buch. Titel: „Ich habe eine Landkarte im Kopf.“
Er bezieht sich auf eine der bekannteren Sendungen der Reihe, der den Lebenswelten von Blinden nachspürt. „Also, wenn der Mensch sich am Kopf kratzt, das hört man einfach“, erzählt eine Frau. Und Corinna May, die Bremer Grand-Prix-Kandidatin von 2002, stellt fest: „Ich nehm’ mir einfach heraus, alles anzufassen, in Museen zum Beispiel – ich kann’s nun mal nicht sehen.“ Inge Buck will Lebenswelten erforschen, „die sich mitten in der Gesellschaft befinden und doch am Rande“. Sie tut das mit Collagen, die fast zur Gänze auf Zwischentexte und Kommentare verzichten, dafür den jeweiligen Lebenswelt-BewohnerInnen maximalen Raum geben.
„Es war nicht immer leicht, Gesprächspartner zu finden“, erzählt Buck. Altersblinde beispielsweise hätten ebenso Scheu über ihr Leben zu berichten wie Lokführer, die einen Bahnsuizid erlebten. Oder Tierschützer, die in Versuchslabore einbrechen (Hörbild-Titel: „Bruder Schwein, Schwester Kuh“). Wenn Inge Buck das Mikro schließlich anstellen darf, dokumentieren sich umso beeindruckendere Erfahrungen.
Andere jetzt verschriftlichte Themen: Alltagserfahrungen und Legenden in Bezug auf „Engel“, Nahrungsmittel aus klösterlicher Produktion und der Bremer jüdische Friedhof – in dem der vergangenes Jahr verstorbene Landerabbiner Benyamin Barslai zu „erleben“ ist. Spannend sind auch die Spontan-Interviews zur Frage, warum Menschen auf den Friedhof gehen: „Seele vergiss sie nicht.“
Der Versuch, Umgangssprachliches und allerlei Dialekte ins Buch hineinzutranskribieren, ist allerdings ebenso gewöhnungsbedürftig wie alternativlos, um sich dem Gehörten anzunähern. Was im Umkehrschluss bedeutet: Die Hörbilder brauchen wieder mehr Sendezeit.
Henning Bleyl
„Ich habe eine Landkarte im Kopf“: Buchvorstellung heute, 20 Uhr, im Café „Ambiente“, Osterdeich 69 a.
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