: Gartenzwerge gegen die AfD
Die Letzten der Liste (VI) Dirk Stamer tritt in Mecklenburg-Vorpommern für die SPD an. Populistische „Effekthascherei“ ist ihm zuwider – er will als guter Zuhörer überzeugen
Am 4. 9. wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Die Parteien haben ihre Kandidatenlisten aufgestellt. Es gilt: Je weiter hinten, desto geringer die Aussicht auf ein Mandat im Schweriner Landtag, im Stadtschloss. Wer sind diejenigen, die auf den aussichtslosen letzten Listenplätzen kandidieren? Wir stellen einige von ihnen vor. Bisher waren das Sally Raese (Grüne), Werner Kempf (AfD), Doris Zutt (NPD), Mayk Borchardt (CDU).
Aus Krimowitz Felix Hackenbruch
Über Dirk Stamer strahlt Dirk Stamer. In seinem kleinen Arbeitszimmer prangt auf einem großen Wahlplakat das Konterfei des 36-Jährigen. Im Holzregal darunter liegt eine rote Bundeswehrkappe aus seiner Wehrdienstzeit, daneben Fantasybücher, ein Globus und zwei ferngesteuerte Hubschrauber. Besonders gerne spiele er mit dem ferngesteuerten Mini-U-Boot, berichtet er.
Als Einziger unter den Letzten der Landeslisten der Parteien kann sich Dirk Stamer ernsthaft Hoffnung auf den Einzug in den Schweriner Landtag machen. Im Wahlkreis 12, der sich wie ein Gürtel um Rostock schmiegt, tritt er als Direktkandidat für die SPD an. Der Wirtschaftsinformatiker tritt ein großes Erbe an. Bei der letzten Wahl holte der damalige SPD-Minister für Energie und Infrastruktur, Volker Schlotmann, hier mit 32,2 Prozent knapp vor der CDU das Direktmandat. Als Schlotmann sich 2014 aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, ging das Mandat an einen SPD-Vertreter aus Vorpommern, und der Wahlkreis 12 hatte keinen Abgeordneten mehr. Jetzt muss Stamer also gewinnen. Druck spüre er trotzdem keinen. „Ich habe ja noch kein Mandat und kann deshalb auch nichts verlieren“, sagt der zweifache Vater, der mit seiner Frau in einem verwachsenen Einfamilienhaus im beschaulichen Kritzmow – einem Vorort von Rostock – lebt. Im Jahr 2014 zog er hierher, trat der SPD bei, wurde Gemeindevertreter von Kritzmow. Überhaupt: „Einen Wahlkreis zu gewinnen, halte ich für die ehrlichste Form, ein Volksvertreter zu sein.“
Angesichts der chronischen SPD-Schwäche kein einfaches Unterfangen. Nach ihrem Triumph vor fünf Jahren, als man unter Erwin Sellering 36,5 Prozent holte, ist sie nach letzten Umfragen auf 22 Prozent abgestürzt. Warum, kann sich Stamer nicht so richtig erklären. „Wenn man sieht, wo wir herkommen, hat sich in den letzten Jahren doch vieles verbessert“, findet er, und verweist auf die gesunkene Arbeitslosigkeit, den Ausbau der Autobahnen, den Schuldenabbau und neue Stellen im Bildungsbereich. „Aber was im Bund schief läuft, dass fällt auf uns zurück“, sagt er.
„Die Menschen wissen ja häufig gar nicht mehr, für was die SPD und ihr Abgeordneter steht – das würde ich ändern, wenn ich in den Landtag einziehe“, verspricht er. Ein jährliches Informationsblatt für alle Menschen im Wahlkreis kann er sich dafür vorstellen. Schon jetzt hat er an alle 23.000 Haushalte seines Wahlkreises Postkarten geschickt. Dort heißt es: „Wie wäre es, wenn wir bei Ihnen zu Hause bei Kaffee und Kuchen über die Zukunft unseres Landes sprechen? Den Kuchen dazu bringe ich mit.“
Rund 20 Leute meldeten sich bei Stamer und erzählten ihm von ihren Sorgen. „Eine Mutter, die jetzt wieder arbeitet, erzählte mir, dass ihr am Monatsende der Verdienst wegen der Kitakosten nur 50 Euro mehr bringe“, berichtet Stamer. Er plädiert für die gestaffelten Kita-Subventionen der SPD.
Seine Erfahrungen aus den Kuchengesprächen hat Stamer zu seinen Wahlkampfthemen gemacht. Zusammengefasst in kurze Sätze hat er sie nicht nur in Infoflyer gedruckt, sondern auch auf Schilder von Gartenzwergen. Sieben Zwerge sind es geworden, die jetzt im ganzen Wahlkreis verteilt stehen. Darauf Slogans wie: „2.600 Euro monatlich bekommt man im Westen im Schnitt. Wird Zeit, dass wir von den 1.950 Euro raufkommen – sagt der Stamer auch.“ Auf die Idee mit den Gartenzwergen sei er selbst gekommen, erklärt er stolz. Stamer findet sie „modern“. „Wahlkampf mit Gartenzwergen gab es wahrscheinlich noch nie. Genauso möchte ich auch Politik machen: Immer wieder neue Wege wagen.“
Ob es dazu kommt, hängt stark vom Abschneiden der AfD ab. Laut Umfragen kommen die Rechtspopulisten aus dem Stand auf fast 20 Prozent, darunter ist ein großer Teil ehemalige SPD-Wähler. Stamer hält auch das für ein Kommunikationsproblem: „Wenn sich die potenziellen AfD-Wähler mal das AfD-Parteiprogramm durchlesen würden, dann würden sie erkennen, dass die zum Beispiel die Wegnahme des Mindestlohns fordern.“ Er wolle im Wahlkampf intensiv auf solche Dinge hinweisen, versichert er. Besonders angriffslustig klingt er dabei nicht. Es wirkt, als ob die AfD die SPD vor sich her treibe.
Erst jüngst forderte ein Parteikollege von Stamer aus Stralsund die konsequente Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen. „Effekthascherei“ nennt Stamer das, schließlich habe man die Flüchtlingskrise vorbildlich gelöst, und für Kriminelle gebe es geregelte Verfahren. „Ich glaube, dass sich die AfD nicht von der Flüchtlingsfrage speist, sondern aus einer Unzufriedenheit und einem Misstrauen gegen der Politik.“
Ob es dem Politikneuling Stamer gelingt den Wählern dieses Misstrauen zu nehmen, wird sich am 4. September zeigen. Schon jetzt scheint er symbolisch für die kriselnde SPD zu stehen. Bemüht, aber bieder. Sympathisch, aber nicht streitlustig. Unaufgeregt, aber auch wenig überraschend. Da werden wohl auch Kaffee, Kuchen und Gartenzwerge nichts daran ändern.
„Ich habe keine Leichen im Keller“ sagt Stamer am Schluss. Das ist fast ein bisschen schade.
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