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Die WahrheitYoga für Merkel

Kolumne
von Pia Frankenberg

Tagebuch einer Wahlkampfbeobachterin: Berlin ist zuplakatiert. Bald dürfen die Insassen wählen. Aber zuvor müssen sie Aushänge angucken.

B erlin ist im Wahlkampf und mit der geballten Wucht politischer Kernaussagen zuplakatiert. Ein großformatiger Innensenator-Moppel schultert für die CDU und „für ein starkes Berlin“ ein paar Kinderbeine, das Restkind wurde vom feinfühligen Layout kurzerhand gekappt.

Der Bürgermeister geistert als „Müller, Berlin“ im Hintergrund eines SPD-Plakats herum und hält Diskretionsabstand zu den Menschen, die zwar im Vordergrund, dafür aber meist nur von hinten zu sehen sind. Zählt die Partei auf die Phobiker unter den Wählern, die sich von zu großer Nähe bedrängt fühlen? Wird das ins Bild gesetzte Abstandhalten sie für die SPD ins Wahllokal locken? Am Wahltag werden wir mehr wissen.

Die FDP verzichtet wie gewohnt auf Subtilitäten und faselt stattdessen „für das nächste Berlin“ im verschwurbelten Konjunktiv: „Riskieren wir, dass etwas funktionieren könnte.“ Derweil fliegen dem expressio­nistisch verpixelten Konterfei des Spitzenkandidaten explo­sions­artig bunte Schrapnelle um die Ohren.

Vielleicht war der Kreative, dessen Hirn diese sprachlich-ästhetische Großtat riskierte, auf Droge – so wie „Mr. Terrific“, der Held der amerikanischen Sechziger-Jahre-Serie „Immer wenn er Pillen nahm“. Über dem schwebte allerdings dauerhaft die Drohung, als Folge einer Überdosierung zu platzen, was ihm glücklicherweise erspart blieb. Um Sebastian Czaja, den „Mr. Terrific“ der FDP, hingegen muss man sich Sorgen machen.

Rätselhafte Motive

Rätselhaft sind die Motive der Werber und Wahlkampfstrategen, wie sonst sind Forderungen nach „Freilandhaltung auch für Großstadtmenschen“ (Grüne) oder „Berlin braucht Blau“ (AfD = Alkoholiker für Deutschland?) zu erklären? Und dieser Wettbewerb der Blödtexter währt noch bis zum 18. September! Reichlich Zeit für den mündigen Bürger, sich auf Straßenkreuzungen und in Einkaufszonen Augenkrebs und Migräne zu holen. Ich bin geneigt, meine Stimme für mehrere Wahlperioden der Partei zu geben, die mir vertraglich zusichert, absolut niemals Wahlwerbung zu machen.

Eine bescheidene Alternative zum Großplakat bietet, Gott sei Dank, die „Menschliche Welt“ mit einem vergleichsweise unauffälligen Poster, auf dem mir garantiert wird: „Wir können die Flüchtlingskrise überwinden und Kriege beenden, Meditation hilft dabei.“ Es ist zwar schon lange klar, dass Angela Merkel eigentlich nur mit Hilfe eines ordentlichen Yoga-Lehrers die Herausforderungen durch Hunderttausende von Flüchtlingen meistern kann, aber es ist ja nie zu spät. „Wir würden Terrorismus in jeglicher Form an seinen Wurzeln angehen und mit Weisheit überwinden.“ Auch dafür danke, Menschliche Welt! Ab ins Retreat zur dreimonatigen Dauermeditation – und dann zum Neuanfang nach Indien?

Wir Bürger freuen uns jedenfalls auf unser nächstes, starkes und irgendwie mülleriges Freiland-Trinker-Berlin. Womöglich wähle ich doch den Moppel von der CDU, der „Mehr Video-Technik. Nur mit uns“ verspricht. Ich brauche dringend einen neuen DVD-Player. Und zwar Blu-ray, dass das klar ist!

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