Gutachter vor Gericht

SYSTEM-FEHLER

Äußerst selten ist der Fall, der ab Montag vor dem Amtsgericht Hannover verhandelt wird: Ein 1948 geborener Gerichtsgutachter muss sich zusammen mit einem weiteren Angeklagten verantworten – wegen falscher psychiatrischer Gerichtsgutachten.

Konkret wird dem promovierten Mediziner Hans R. vorgeworfen, einer wegen Brandstiftung verurteilten Frau eine schwere Depression bescheinigt zu haben, um so ihr Gnadengesuch zu unterstützen. Allerdings habe der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Brandstifterin nie behandelt, so die Staatsanwaltschaft. Untersucht worden sei sie stattdessen vom ebenfalls angeklagten Walter N. – dabei verfügt der über keinerlei medizinische Ausbildung, arbeitete stattdessen als Unternehmensberater.

Einer weiteren Beschuldigten, der gewerbsmäßiger Medikamentendiebstahl vorgeworfen wurde, bescheinigte der Arzt Kleptomanie. Die Frau bemühe sich um Heilung und sei deshalb bei ihm seit Längerem in Therapie. Tatsächlich aber hatte R. sie nur zwei Mal zu Gesicht bekommen – ein weiterer Psychologe konnte keine Anzeichen von Kleptomanie erkennen.

Nähren dürfte der Fall damit Zweifel am Wahrheitsgehalt psychiatrischer Gerichtsgutachten, die nicht erst seit dem Fall Gustl Mollath wachsen: Sieben Jahre saß Mollath in Bayern in der Psy­chiatrie – gestützt auf Aussagen von Fachärzten, die ihn für ihre Gutachten teilweise nicht einmal untersucht hatten.

2014 sorgte eine in München vorgelegte Doktorarbeit für Aufsehen: Darin klagte ein Viertel der 252 befragten Gutachter, dass ihnen schon bei Auftragsvergabe von den Gerichten deutlich gemacht worden sei, welche Tendenz ihre Expertise haben solle. Problematisch ist das auch deshalb, weil knapp 30 Prozent der Psychiater und fast 50 Prozent der Psychologen mehr als die Hälfte ihres Einkommens durch Gutachteraufträge beziehen. Mittlerweile sind Fehler in der psychiatrischen Begutachtung Thema diverser Studien.

In Hannover jedenfalls scheinen die Beschuldigten mit allen Mitteln um ein mildes Urteil kämpfen zu wollen: Einer hat sich bereits krank gemeldet – die dazu nötige Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung liegt allerdings nicht vor. wyp