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Blicke hinters Interface

Vernetzung Das Verhältnis von künstlerischen Strategien und digitalem Aktivismus untersuchen Performances, Workshops und Vorträge im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel

Wie lässt sich Computerspieldramaturgie in Bühnensprache übersetzen? Szene aus „Lessons of Leaking“ von „Machina Ex“ aus Berlin Foto: Machina Ex

von Robert Matthies

Wie verräterisch Gesten sein können, das beweist Torsten Michaelsen gleich selbst. Sichtlich angespannt ist das Mitglied der Künstlergruppe Ligna während der Premiere von deren aktueller Performance „The Kommunity – Gestisch. Geheim. Glücklich“. Gerade sind die ersten vier TeilnehmerInnen in vier dunklen Kammern verschwunden. Erst nach ein paar Minuten tauchen sie wieder auf, mischen sich unters Publikum im Kampnagel-Foyer und führen auf, was sie gerade eingeübt haben.

In den Kammern standen sie einem Bildschirm gegenüber, auf dem das eigene Spiegelbild mit Filmaufnahmen von merkwürdigen Gesten verschmolz, etwa mit Szenen aus dem Kurzfilm „Les maîtres fous“, den der Franzose Jean Rouch 1955 über die Hauka-Bewegung drehte, die sich im französisch kolonisierten Teil Afrikas mit Mimikry über die Militärzeremonien ihrer Kolonialherren lustig machten.

Die „Kommunity“, erklärte dazu eine anonyme Stimme über Kopfhörer, sei eine „Geheimgesellschaft der verräterischen Gesten“. Untersuchen soll das Stück, erklärt Michaelsen, was passiert, wenn man bestimmte Gesten annimmt und vervielfältigt, aus dem Kontext reißt oder parodiert: Kann man in einer kybernetisch gesteuerten Gesellschaft noch unvorhersehbare Bewegungen entwickeln, damit zum Konstrukteur des eigenen Lebens und womöglich auch im analogen Leben anonym werden?

Es ist ein offenes Spiel mit der Spannung von Programmierung und Unvorhersehbarkeit. Diese Spannung ist es auch, die Michaelsens Körper so sichtlich in Aufregung versetzt: Erst auf den letzten Drücker ist der beauftragte Programmierer mit dem Bildschirmprogramm fertig geworden. Ob die Körperprogrammierung nun tatsächlich wie vorgesehen funktioniert?

Eröffnet wurde am Donnerstagabend mit Lignas Körpergestenperformance der Schwerpunkt „Kunst und digitaler Aktivismus“ des Kampnagel-Sommerfestivals. Der setzt sich mit einer Reihe von Workshops, Lectures und Performances mit den Konsequenzen einer digitalisierten Welt auseinander, in der komplexe Algorithmen zunehmend einen vernetzten Kontrollraum schaffen, der auch das analoge Leben mit ganz bestimmten Formen von Wahrnehmung, Kommunikation und Interaktion durchdringt.

Dabei geht es nicht bloß um subversive Strategien und Möglichkeiten zur Selbstermächtigung, um Demokratisierungspotenziale und die Risiken von Big Data. Sondern auch ganz direkt um das Verhältnis von digitalem Aktivismus und Kunst. Wie können Internet und Theater zusammenkommen, ohne dass sich der Kontakt dieser – auf den ersten Blick – so weit auseinander liegenden Welten darin erschöpft, Theater „ins Internet“ zu bringen und das Internet „auf die Bühne“?

Nicht nur Inhalt, also: Thema sind etwa die Computerspiele im aktuellen Stück „Lessons of Leaking“ von Machina Ex. Das Berliner „Theaterkollektiv“ übersetzt seit fünf Jahren dramaturgische, narrative und ästhetische Elemente von Computerspielen in interaktive Bühnenstücke. Mitentscheiden kann das Publikum ab Mittwoch in einem düsteren Zukunftsszenario, ob Deutschland im Jahr 2021 nach zahlreichen Krisen die Europäische Union verlassen soll oder nicht. Auch hier spielt das Geheimnis die zentrale Rolle: Die SpielerInnen erhalten geheime Informationen, deren Veröffentlichung erschütternde politische Folgen haben könnte ... Whistleblowen – oder lieber nicht?

Noch einen Schritt weiter geht die Installation „Call a Spy“ des „Peng! Collective“ aus Berlin und Leipzig. Mit „Intelexit“ haben die Kommunikationsgue­ril­le­ros und -guerilleras im vergangenen Herbst eine weltweit aktive Plattform initiiert, die MitarbeiterInnen von Geheimdiensten beim Aussteigen helfen soll. Unter anderem haben sie Grundgesetz-Auszüge an das Bundesamt für Verfassungsschutz gekleistert und dessen MitarbeiterInnen dann beim Entfernen gefilmt. Oder sie warfen, per Drohne, klar, Flugblätter über dem von der US-amerikanischen National Security Agency genutzten „Dagger Complex“ im hessischen Darmstadt ab.

Ab Mittwoch kann man nun selbst versuchen, MitarbeiterInnen von britischen, US-amerikanischen und deutschen Geheimdiensten per Telefongespräch zum Ausstieg zu bewegen. Oder sie zumindest mal ganz persönlich kennenzulernen. Das nötige Rüstzeug lernt man zuvor im Workshop: Geheimwissen zur Erkennung verräterischer ethischer und psychologischer Gesten.

Schwerpunkt „Kunst und digitaler Aktivismus“: bis 28. August im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel

www.kampnagel.de/internationales-sommerfestival

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