Die neue Krim-Krise

Russland/UkraineMoskau wirft Kiew „Terror“ vor, kündigt Maßnahmen „zu Wasser, zu Lande und in der Luft“ an und kündigt den geltenden Dialograhmen mit der Ukraine auf

In Sewastopol ist Putin nicht zu übersehen Foto: Pavel Rebrov/reuters

Von Klaus-Helge Donath
(Moskau) und Bernhard Clasen (Kiew)

Es geht Schlag auf Schlag. Am Mittwoch teilte die russische Regierung mit, auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim seien am Wochenende Sabotage- und Terrorakte verübt worden. Bei einem Schusswechsel zwischen ukrainischen „Diversanten“ und russischen Militärs seien ein FSB-Geheimdienstler und ein Wehrdienstleistender ums Leben gekommen. Am Donnerstag verfügte in Moskau der Nationale Sicherheitsrat zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Krim „zu Lande, im Wasser und in der Luft“, um „die Sicherheit der Bürger und der wichtigen Infrastruktur“ zu garantieren, wie Wladimir Putins erklärte.

Es hat den Anschein, als bastele Moskau in Windeseile an einem neuen Bedrohungsszenario. Zwei Gruppen von „Diversanten“ will der russische Geheimdienst FSB auf der Krim dingfest gemacht haben. In der Nacht zum 7. August soll es an der Grenze zwischen der Krim zum ukrainischen Festland zu einer Schießerei gekommen sein. Am selben Tag habe ein Trupp von sieben ukrainischen Geheimdienstlern zudem versucht, mit einem Schlauchboot unerkannt bei der Ortschaft Armjansk an Land zu gehen. Das sei fehlgeschlagen, da sich eine wachsame FSB-Patrouille in der Nähe aufhielt. Angeblich hatten die Eindringlinge den Auftrag, durch Anschläge den „Tourismus abzuwürgen“, ohne jedoch Menschenleben zu gefährden. Einen Tag später sei die Krim von der Ukraine aus schwer beschossen worden, berichtete die Zeitung Kommersant.

Das investigative Conflict Intelligence Team (CIT) überprüfte die Angaben des FSB. Demnach gab es in der Nacht auf den 7. August tatsächlich einen Schusswechsel an der Grenze. Beweise für einen massiven Beschuss aus schweren Waffen am nächsten Tag fand das CIT aber nicht.

Die russischen Vorwürfe seien zynisch und haltlos, kommentierte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Die Ukraine verfolge weiterhin ihr Ziel, die Krim wieder zu integrieren, dabei setze man jedoch ausschließlich auf politische und diplomatische Mittel. Gleichzeitig ordnete Poroschenko an, die an der administrativen Grenze zur Krim stehenden ukrainischen Truppen in Kampfbereitschaft zu versetzen.

Nachdenklich stimmt: Kaum hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach einer Versöhnungstour Russland verlassen, stieg für Moskau der ukrainische „Terror“ zum beherrschenden Thema auf. Präsident Putin wirft Kiew nicht nur „Terror“ vor. Er kündigte auch Vergeltungsmaßnahmen an. Kiew, so Putin, versuche, „einen Konflikt zu provozieren“ und die Öffentlichkeit davon abzulenken, wer die Macht in der Ukraine an sich gerissen hätte. Auffällig ist die selbst für den Kremlchef scharfe Wortwahl.

Zeitgleich teilte Putin mit, dass er unter den jetzigen Umständen keinen Sinn mehr sähe, im Rahmen der Normandie-Vierergruppe zusammenzutreffen. Dieses Gremium, dem Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland angehören, wurde einst geschaffen, um den Konflikt in der Ostukraine zu beobachten. Es löste den Konflikt nicht, bot Moskau aber einen Rahmen, wenn es wollte, ohne Gesichtsverlust aus dem verfahrenen Krieg herauszufinden. Darauf verzichtet der Kreml nun.

Kaum verlässt Erdo­ğan Moskau, beginnt das Säbelrasseln gegen die Ukraine

Putin habe einen Vorwand gesucht, die Verhandlungen im Minsk-Format zum Erliegen zu bringen, kommentiert Dmytro Kuleba, der ständige Vertreter der Ukraine im Europarat. Russland suche einen Casus Belli, mit dem man die Reaktion des Westens testen wolle.

Russlands elektronische Medien stimmen die Öffentlichkeit auf eine neue Eskalationsrunde ein. Manche Beobachter sehen Parallelen zum sowjetischen Finnlandfeldzug 1939, als der Anlass auch einer Inszenierung folgte. Im September finden in Russland Parlamentswahlen statt, die Kraft nationaler Begeisterung seit der Krim-Annexion im Frühjahr 2014 schwindet und ein Ende der Wirtschaftskrise ist nicht absehbar. Nicht zuletzt hat Moskau im Südwesten Russlands die militärische Präsenz ausgebaut – angeblich als Gegenmaßnahme gegen die Nato-Truppenverstärkung im Baltikum.

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