: Das Wachstum ist begrenzt
Landwirtschaft Bio boomt immer mehr. Aber noch lieber als „nur bio“ ist vielen Verbrauchern regionale Bio-Ware. Obwohl der Handel diese gern anbietet, sind die Gemüse- und Obstmengen von Bio-Bauern rund um Berlin natürlich nicht beliebig zu vergrößern
von Jana Tashina Wörrle
Märkisch-Oderland, nahe Oderbruch im Frühjahr: Die Landschaft ist hügelig, doch trotzdem kann man weit blicken. Bis zur Straße reichen die Äcker. Sie sind riesig, wo sie enden, sieht man nicht. Nach etwas über einer Stunde Autofahrt raus aus Berlin, kommt man an dem Ort an, von dem Kartoffeln, Radieschen, Zwiebeln und allerlei mehr stammen, die die zunehmende Zahl an Bio-liebhabenden Hauptstädtern kauft. Sie stammen vom Biolandhof Zielke. Er ist einer der Höfe, deren Gemüse den Berlinern in den über 46 Märkten der Bio Company zur Wahl stehen.
Bio-Gemüse aus der Region ist immer gefragter. Immer mehr Menschen wollen Waren kaufen, deren Herkunft sie kennen. Bio Company wächst; im vergangenen Jahr verzeichnete das Unternehmen ein Umsatzplus von 17,5 Prozent und eröffnet in Berlin stetig neue Filialen. Mit ihr wachsen die regionalen Anbaubetriebe wie jener der Familie Zielke in Vierlinden, nicht weit der polnischen Grenze. Das Wachstum des Hofs hat allerdings Grenzen, denn obwohl es in der Umgebung riesige Ackerflächen gibt, ist Land kaum zu bekommen – geschweige denn bezahlbar.
Ähnlich erlebt das die Bioland-Gärtnerei Watzkendorf im mecklenburgischen Blankensee. Auch sie baut Gemüse für den Bio-Handel an, schon seit 20 Jahren. Ihre Gurken, Tomaten und Salatköpfe werden über den Berliner Großhandel an Bio-Läden verkauft, dazu zählen nicht nur die Bio Companys, sondern auch viele inhabergeführte Naturkost-Geschäfte.
Angefangen hat alles Mitte der 90er Jahre mit dem Anbau von Rot-, Weiß- und Rosenkohl, den die Gärtner in einem VW-Bus in die Hauptstadt lieferten. Daraus sind mittlerweile zwei 18-Tonner geworden. Die 7 Hektar Anbaufläche im Freiland sind auf 22 Hektar angewachsen, die 1.000 Quadratmeter Fläche unter Folie und Glas auf 1,5 Hektar.
Die steigende Nachfrage erlebt Sabine Kabath von der Bioland-Gärtnerei Watzkendorf als Trend zum Regionalen. „Viele Bio-Kunden wollen keine anonymen Produkte“, sagt die Geschäftsführerin. 85 Prozent der Ernte in Blankensee geht nach Berlin: zwölf Sorten Salat und rund 25 andere Kulturarten.
Breites Sortiment muss sein
Auch das Sortiment der Zielkes aus dem Oderbruch, das in der Erntesaison mehrmals die Woche in Richtung Berlin fährt, ist breit. Das fordert der Bio-Handel, und das fordern die Kunden auf den sieben Wochenmärkten, auf denen die Zielkes freitags und samstags verkaufen.
Die Zielkes testen jedes Jahr neue Sorten sowohl im Anbau als auch im Verkauf. Bevor sie es den Bio-Supermärkten anbieten, nehmen sie es mit zu den Wochenmärkten. „Meistens zeigt sich hier, ob wir Erfolg haben können“, sagt Ina Zielke. Mit ihrem Mann Conrad – dem ältesten Sohn des Noch-Hof-Besitzers Karl Georg Zielke – wird sie den Anbaubetrieb bald übernehmen.
Immer mehr Berliner setzen vorwiegend auf „bio“. Bereits vier von fünf Hauptstädtern kaufen regelmäßig Bioprodukte ein, wie eine Umfrage der Universität Hohenheim ergab. Oft gehen sie dazu in einen der immer zahlreicher werdenden Biosupermärkte. Der klassische kleine Bioladen im Kiez hat damit und durch die Biowaren bei den Discountern starke Konkurrenz bekommen.
Neben dem Angebot an Bioprodukten weitet sich demnach auch der Käuferkreis aus. Bio ist nicht mehr exklusiv. Zwar sei der überzeugte Biokunde noch immer meist einkommensstark, gut gebildet und oft weiblich. Doch die Grenzen verschwimmen. Vor allem Gelegenheitskäufer sind laut Studie heute in allen Altersgruppen, Bildungs- und Einkommensschichten zu finden.
Die Studie identifiziert Berlin als Trendsetter und wertet die steigende Nachfrage nach Bioprodukten in der Hauptstadt als Zeichen, dass der Restder Republik bald nachziehen dürfte. (jtw)
Ina Zielke kümmert sich vor Ort um alle Pflanzen in den Folientunneln und Gewächshäusern. Jetzt im Frühjahr müssen die Pflänzchen in die Erde, die ersten schon gedüngt – natürlich bio mit Hornspänen, Haarmehlpellets und Mist – und gut gewässert werden. Unter Folie startet die Saison früh. Doch auch auf den Äckern muss nun angepackt werden.
Conrad Zielke ist gerade dabei, per Traktor die Steckzwiebeln unter die Erde zu bringen. Er fährt deshalb Bahn um Bahn auf einem unebenen Stück Land entlang. Es handelt sich um einen Acker, den die Zielkes durch Zufall dazukaufen konnten, ohne dafür eine aufwendige Ausschreibung der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) durchstehen zu müssen. „Der Acker gehört zu unserem Lagerhaus, und das wollte lange keiner haben“, erzählt Karl Georg Zielke, der gern noch weitere Flächen nahe seinem Hof kaufen würde. Das Lagerhaus ist ein alter Stall und der Acker daneben nur fünf Hektar groß – uninteressant für die Großbauern, die ansonsten in dieser Gegend ansässig sind.
Zwar konnten die Zielkes ihre Flächen seit 1991, als sie mit dem Gemüseanbau starteten, von 2,5 auf 28 Hektar vergrößern – mehrmals hatten sie „Glück“, wie es der Seniorchef nennt –, doch nun scheint eine Grenze erreicht zu sein. Wenn die BVVG derzeit Flächen verkauft, seien diese meist zu teuer. Die Großbetriebe würden sie gnadenlos überbieten. Nur bei kleinen Randstücken gebe es Chancen. So heißt Wachstum bei den Zielkes vor allem Wachstum im Sortiment und in der Erntemenge je Fläche.
Nachfrage unersättlich
Dabei scheint die Nachfrage derzeit unersättlich. Gleichzeitig muss die Qualität stimmen. Krumme Gurken oder zu kleine Möhren müssen aussortiert werden – entweder direkt auf dem Feld oder später beim Verpacken. Nimmt man dann noch das dazu, was zwischen dem Ernten und dem Verkaufen verdirbt, und auch das, was der Verbraucher selbst wegwirft, werden am Ende nur etwa 40 Prozent der einst angebauten Feldfrüchte gegessen, rechnet Sabine Kabath vor.
„Ohne dieses Problem würden wir auch mit weniger Fläche auskommen“, sagt Kabath. Wer Bio-Gemüse anbaut, steht ihrer Meinung unter besonderem Druck: Wie bei konventionellem Gemüse müsse das Aussehen stimmen, aber gleichzeitig der „innere Wert“ – Geschmack und Schadstofffreiheit.
Die Bio Company versucht, 40 Prozent von Obst und Gemüse aus der Region zu beziehen. Derzeit hat sie dafür gut 60 Betriebe, mit denen sie zusammenarbeitet. Darunter fallen auch Verarbeiter wie Röstereien oder Bäckereien. Dabei folgt das Unternehmen nach eigenen Angaben dem Prinzip „Je näher an Berlin, desto besser“.
Georg Kaiser, der Geschäftsführer von Bio Company, gibt zu, dass die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in Berlin nach wie vor höher ist als das Angebot aus der Region: „Zwar können wir bei den Standardfeldfrüchten auf genügend Ware zurückgreifen. Bei einigen Obstsorten könnte jedoch noch mehr aus der Region kommen.“
Neue Flächen sind teuer
Dass es für die kleinen Bio-Anbaubetriebe schwierig ist, an neue Flächen zu kommen, sieht auch Kaiser als Problem und kritisiert: „Hier ist die Politik gefordert, die die großen konventionellen Flächenbetriebe bevorzugt fördert.“ Seiner Meinung nach integrieren Bio-Landwirte Kosten für Umwelt und nachfolgende Generationen. Die konventionelle Landwirtschaft tue dies nicht. „Diese Ungleichgewichte sollten politisch ausgeglichen werden, etwa durch eine Sondersteuer auf Pestizide oder synthetische Dünger“, fordert Kaiser.
Trotz der Grenzen erlebt der Bio-Handel ein dickes Wachstum – mit ihnen die Anbaubetriebe. Der Berliner Bio-Großhandel Terra Naturkost, der viele eigenständige Bio-Läden, aber auch Bio-Supermärkte beliefert, sieht das derzeitige Wachstum als „gemeinsamen Gewinn“. Terra Naturkost ist einer der Branchenriesen in der Region Berlin-Brandenburg und wuchs in den vergangenen Jahren jeweils um etwa 8 Prozent. Rund 80 Prozent des Absatzes erzielt der Großhändler in der Hauptstadt.
„Die Metropole ist ein Magnet“, beschreibt das Meinrad Schmitt von Terra Naturkost und meint damit, dass sich hier künftige Trends als Erstes zeigen und sich durch die Einwohnerstärke deutlich bemerkbar machen. Außerdem seien die Wege von den regionalen Anbaugebieten in die Zentren der Stadt kurz. Da Berlin keinen industriellen Randgürtel besitzt, beginnen die Äcker schon gleich an der Stadtgrenze und manchmal auch davor.
Umfragen ergeben, dass Verbraucher in der Theorie gern regionale Produkte kaufen, doch die Praxis ist komplizierter. Ein großer Teil der in Deutschland verkauften Bio-Waren wird immer noch importiert. „Bei dem Thema muss man ehrlich bleiben. Wenn Edeka hier Milch aus Bayern als regional verkauft, ist das nur Marketing“, sagt Schmitt und verweist darauf, dass Terra Naturkost versuche, so viel wie möglich im Umkreis von 150 bis 200 Kilometern um Berlin zu beziehen. Doch das sei nicht immer möglich – auch, weil ostdeutsche Landwirte vielerorts kaum Lagermöglichkeiten hätten. Große Lagerhäuser zu bauen, um Kartoffeln oder Möhren über das ganze Jahr anbieten zu können, habe sich hier noch nicht durchgesetzt.
Regional ist – Brandenburg
Bleibt aber immer noch die Frage, was „regional“ eigentlich heißt? Der Begriff ist weder geschützt noch offiziell definiert. Eine „Region“ kann ein Bundesland sein, ein Landkreis oder mehrere Landkreise, ganz Deutschland oder auch nur drei Dörfer.
Einer Umfrage der Universität Hohenheim zufolge, für die über 500 BerlinerInnen befragt wurden, gelten vor allem Produkte als regional, die aus Brandenburg stammen. Drei Viertel bis zwei Drittel akzeptieren auch angrenzende Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Sachsen. Exakt eingrenzen kann die „Region“ keiner. Trotzdem werben Hersteller und Händler damit.
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